Bei mir zu Hause, rund 100 Meter vor dem Gartensitzplatz, nisten seit Jahren zwei Störche auf einem Strommast. Meist sind die beiden über Winter in der Schweiz geblieben. Dieses Jahr sah es nicht immer sehr angenehm aus, wie sie im zugeschneiten Nest standen und die Bise über sie hinwegfegte. «DU wolltest unbedingt bleiben.» «Nein, das war DEINE Idee!» So ungefähr stelle ich mir die winterlichen Gespräche der beiden vor.

Ende März beschloss ein zweites Pärchen, sich direkt unterhalb der langjährigen Bewohner des Strommast ein Nest zu bauen. Dumm nur, dass dort nur ein schmaler Querträger ohne irgendeine Vorrichtung für den Bau des Nests war. Dessen unbeirrt flogen die beiden neuen Störche laufend neues Baumaterial herbei. Das Prozedere war immer gleich:

  • Landeanflug mit Astmaterial im Schnabel.
  • Der Versuch, den Ast irgendwie auf dem schmalen Träger zu deponieren.
  • Nach durchschnittlich drei Sekunden Absturz des Baumaterials hinunter auf unsere Ökowiese.

Betrübte Blicke der Störche nach unten (haufenweise Spuren des gescheiterten Bauvorhabens) und nach oben (trautes Heim, Glück allein für die beiden alteingesessenen Störche, die ihrerseits mit den Schnäbeln klapperten).

Wir schüttelten den Kopf ob dieser ungeschickten Störche. Nach zwei Wochen Bautätigkeit, unzähligen Transportflügen und einer Erfolgsquote von genau 0 Prozent lachten wir über ihre fehlende Lernfähigkeit. Die würden besser ein neues Zuhause suchen. Oder das Zuhause von Artgenossen kapern. Oder die Baustrategie gründlich überdenken.

Wir wussten es besser. «Schau, da kommt schon wieder einer», sagten wir uns und schauten mit etwas Bedauern, aber auch etwas Schadenfreude dabei zu, wie ein weiterer Ast in die Tiefe fiel.

Eines Abends, gut zwei Wochen nach Beginn der Bautätigkeit, kam ich nach Hause und staunte nicht schlecht. Da waren plötzlich einige Äste oben auf dem Querträger. Ein Storch setzte zum Landeanflug an, setzte auf, platzierte seinen Ast im Wirrwar der anderen Äste und klapperte zufrieden mit dem Schnabel. Tatsächlich, ein Nest entstand!

Die Geschichte könnte hier zu Ende sein. Es wäre eine einfache, schöne und ermutigende Geschichte. Die Moral dazu könnten Sie sich denken. Das Leben läuft aber bekanntlich selten wie der Plot einer Hollywood-Story. Die Geschichte war nicht zu Ende.

Zwei Tage später – die Anordnung der Äste folgte bereits einer bestimmten Logik, ein Nest war erkennbar – kam das Personal der AEW Energie AG auf Platz. Die AEW Energie AG ist als Netzbetreiberin über die illegale Bautätigkeit nicht erfreut. Es besteht das Risiko, dass es durch den Nestbau und den Flugverkehr zu einem Kurzschluss kommen kann.

Also wurde das Nest (so durfte man es mittlerweile nennen) abgebaut. Am Querträger montierte das Personal lange, spitzige Stacheln, die allen nicht-suizidgefährdeten Störchen die Landung verunmöglichen und ein bisschen an militärische Sperrzonen in einem Krisengebiet erinnern. Sie erfüllten ihren Zweck.

In gegenseitiger Absprache haben wir ein alternatives Zuhause für die Störche gesucht und gefunden: Unweit des Strommasten stellte das AEW eine Telefonstange mit Nisthilfe darauf.

Mittlerweile ist es aber so, dass die Nisthilfe verwaist ist. Die Störche halten sich aktuell vorzugsweise auf unserem Scheunendach zwischen den Solarpanels auf. Zuvor beeinträchtigte der Kot der Störche die Qualität der unter dem Nest liegenden Ökowiese. Mittlerweile beeinträchtigt der Vogelschiss den Output der Solaranlage.

Und die Moral dieser Geschichte? Nun, auch sie ist wohl noch nicht zu Ende.

 

«Plötzlich Bauer»

Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG. Er arbeitet in einem Teilzeitpensum als Redaktor Pflanzenbau für «die grüne».

Hagenbuch begann sich erst spät für die Landwirtschaft zu interessieren. In seiner Kolumne erzählt er von Alltäglichem und Aussergewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischen Blick und einem Augenzwinkern.