Erinnern Sie sich an das mulmige Gefühl kurz vor einer Prüfung in der Schule? Ein letzter Blick auf die Notizen, eine Frage an den Kollegen, wie das schon wieder genau funktioniere mit dem Ammoniak. In ganz wichtigen Fällen sogar eine Packung Traubenzucker und eine Flasche Wasser auf dem Pult. Dann die Prüfung: Kurz alles hinschreiben, was einem in den Sinn kommt, und weiter geht das normale Leben.
Eine vergleichbare Situation erlebte ich heute, als ich erstmals Besuch vom Kontrolldienst Schweizer Tierschutz erhielt. Eine angemeldete Kontrolle, da der Umbau vom Mast-Stall abgenommen werden musste. Wie alle «Prüfungen» wurde auch diese im Vorfeld hochstilisiert. Jedenfalls bekam ich von Berufskollegen zu hören: «Du musst dir gut überlegen, ob du diese Label-Produktion wirklich willst. Denk nur an die Kontrollen vom Tierschutz! Diese Leute müssen mir nicht mehr auf den Betrieb kommen …».
Tatsächlich war ich nervös, ob ich beim Umbau nicht etwas übersehen hatte. Oder ob ein Dokument nicht korrekt ausgefüllt sein könnte. Oder ob ein Säuli einen unglücklichen Eindruck macht. Oder ob halt sonst irgendetwas Dummes zum Vorschein kommt, was Zeit, Nerven und Geld kosten könnte.
So erwachte ich am Morgen der Kontrolle und machte wie immer den Stall – ausser, dass ausgerechnet heute zwei Schweine lahm gingen und dementsprechend behandelt werden mussten. Ein böses Omen für die bevorstehende Kontrolle? Das fragte ich mich nur kurz, nachher hatte ich keine Zeit mehr. Und plötzlich war es schon 9 Uhr.
Pünktlich erschien die Kontrolleurin und wir gingen zuerst zum alten, bereits belegten Stall. Zu beanstanden gab es – nichts. Das Gefühl der Prüfungssituation blieb aber bis zum Schluss des Besuches bestehen. Was, wenn ein Fütterungsautomat nicht genau den Anforderungen entspricht? Was, wenn ein Durchgang ein paar Zentimeter zu schmal oder wenn die Wasser-Durchflussmenge der Sprinkler im Auslauf einen halben Liter zu gering ist?
Im neuen Stall glücklicherweise das gleiche Bild: Nichts zu beanstanden. Erst der Blick in den Produzenten-Ordner förderte ein Versäumnis zu Tage: Ich brauche einen Nachweis des Futtermittel-Lieferanten, dass sein Futter den CNF-Richtlinien entspricht. Nichts, was sich nicht mit einem Mail erledigen liesse.
Ansonsten gab es sogar den Vermerk «Sauber geführter Betrieb und Ordner, sehr schöne Einstreu», was vergleichbar ist mit dem Smiley, den die Primarlehrerin nach einem fehlerlosen Diktat auf das Prüfungsblatt geklebt hat. Schön zu hören war es dennoch. Wer will nicht, dass sein Hof das Prädikat «sauber geführt» bekommt? Allerdings wünschten wohl die meisten Landwirte, sie würden mal von ihren Berufskollegen ein Kompliment bekommen. Doch da muss man wohl eher länger Geduld haben.
Am Vorabend vor der Tierschutz-Visite meinte meine Freundin, dass ich der Kontrolleurin ja Himbeer-Frappé auftischen könnte, sofern diese anständig sei und alles rund laufe. Es lief rund, das Frappé wurde aufgetischt. Und irgendwie – ich mag mich täuschen – schienen wir beide erleichtert: Ich, dass ich keinen Ärger kriege und keine aufwändigen Korrekturen am Stall vornehmen muss. Und die Kontrolleurin, weil sie mir keinen Ärger machen musste. Denn Ärger machen, das ist auch nicht unbedingt lustig. Selbst wenn es zum Job gehört. Manchmal auch zu meinem Nebenjob als Journalist.