Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle darüber geschrieben, dass ich es bedenklich finde, dass man es oft bedenklich findet, wenn jemand seine Meinung ändert. Stattdessen könne man, so meine damalige Aussage, eine geänderte Meinung ja auch dahingehend interpretieren, dass jemand klüger geworden ist.
Ich habe mir damals eine Erinnerung in den Kalender gemacht, um nachzuschauen, ob ich den Text heute nochmals gleich schreiben würde wie damals. Oder ob ich zwischenzeitlich meine Meinung geändert habe. Vielleicht sogar, ob ich klüger geworden bin.
Inhaltlich würde ich am Text nicht sehr viel ändern. Eine starre, seit langem existierende Meinung, ist für mich nach wie vor kein Gütesiegel. Ist das nun selber bereits eine starre Meinung? Das lasse ich lieber mal so stehen. Die spannendere Frage ist nämlich die: Habe ich mich verändert? Bin ich sogar klüger geworden?
Es ist sicher nicht so, dass ich meine Identität im vergangenen Jahr radikal geändert hätte. Ich bin keiner Sekte beigetreten und bevorzuge immer noch das stichfeste Schokoladenjoghurt. Auch der Betrieb hat sich nicht grundlegend geändert. Die Veränderungen – die persönlichen und die betrieblichen – laufen eher subtil ab. Gerade so, dass ich es manchmal selber kaum mitbekomme. Ausser, wenn ich mir wie jetzt die Zeit nehme, kurz innezuhalten und über einen erweiterten Zeitraum zurück zu blicken.
Ich glaube, es gibt eine Veränderung, die sich seit meiner Ankunft auf dem Mühlehof vor vier Jahren durchzieht: Veränderungen passieren weniger offensichtlich als früher.
Klar gibt es Änderungen, die auf den ersten Blick gar nicht so klein scheinen: Der Umbau des Schweinestalls in einen Pferdestall zum Beispiel oder der Aufbau eines neuen Betriebszweigs. Diese Veränderungen spielen sich jedoch innerhalb der betrieblichen Grenzen ab.
Als Landwirt bin ich örtlich stark gebunden. Das schränkt meinen Aktionsradius naturgemäss ein. Ich arbeite im Freiamt und ich lebe hier. Die meisten Menschen, die ich treffe, sind ebenfalls von hier. Und, der grösste Unterschied zu früher: Es scheint ziemlich klar, dass ich bis auf weiteres auch hier bleiben werde.
Im Vergleich dazu war das schon eine andere Welt, als ich im Studium Kollegen aus der ganzen Schweiz traf, in Bern, Biel und Rottenschwil ein Bett hatte – und vor mir haufenweise Möglichkeiten, aber kaum Verpflichtungen.
Das ist kein Grund, wehmütig zu werden. Denn was mir innerhalb des letzten Jahres deutlicher bewusst geworden ist: Als Landwirt kann ich gestalten. Ich «gestalte» Pflanzen, Tiere, Gebäude, die Umwelt, Beziehungen. Ich gestalte meinen Job. Ich gestalte mein Leben. Und meine Aufgabe ist es, die Veränderungen dahingehend zu gestalten, dass sie für mich stimmig sind. Keine leichte, dafür eine sinnvolle Aufgabe.
Und vielleicht ist es ja ganz gut, dass diese Veränderungen langsam ablaufen. Allzu grosse Veränderungen haben das Potenzial, mir Angst zu machen. Und der Prozess des Schlauer-Werdens geschieht ja auch nicht unbedingt über Nacht.
Ich möchte also weiterhin Veränderungen. Ich möchte aber nicht, dass sie unbewusst ablaufen und in eine Richtung gehen, die ich eigentlich gar nie wollte.
Um mich dessen zu gegebener Zeit wieder zu vergewissern, mache ich mir wohl am besten wieder eine Erinnerung in meinen Kalender. Ganz genau wie letztes Jahr.
«Plötzlich Bauer»
Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG.
Hagenbuch begann sich erst spät für die Landwirtschaft zu interessieren. In seiner Kolumne erzählt ervon Alltäglichem und Aussergewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischem Blick und einem Augenzwinkern.