Letzten Monat wurde ich 35 Jahre alt: «Du gell, man wird älter.» Haben Sie diesen Satz schon mal gehört? Ziemlich sicher. Haben Sie ihn schon öfters gehört? Dann sind sie vermutlich über 30 Jahre alt. Seit Erreichen dieser Altersschwelle begegnet mir der Satz gefühlt exponentiell zunehmend. Und dies, obwohl ich ja vorher auch immer älter geworden bin.
Zunächst erweitert sich das Spektrum an Möglichkeiten in einem Menschenleben eigentlich ausschliesslich. Man wird grösser, stärker, lernt zu laufen, kann legal Auto fahren, Alkohol trinken und ohne gefälschten Ausweis in Clubs gehen. Wenn in jungen Jahren von älter werden gesprochen wird, frohlockt man darüber. Jedes Jahr mehr auf dem Buckel bietet neue, bislang verwehrte Möglichkeiten!
Seit meinen Dreissigern ist das etwas anders. Einige Möglichkeiten haben sich etwas eingeengt. Ich möchte heute nicht mehr unbedingt gegen mein 25-jähriges Ich Volleyball spielen müssen. Die Partie würde mit einer Forfait-Niederlage oder dem Aufgebot einer Ambulanz enden – natürlich nicht wegen in der Emotion begangenen Handgreiflichkeiten, sondern weil der Rücken den Dienst versagte.
Vielleicht fällt der «Man-wird-älter-Satz» auch häufiger, weil die Intervalle des Wiedersehens mit manchen Freunden und Bekannten, die nicht gerade um die Ecke leben, weiter werden. Man trifft sich vielleicht nur noch jährlich, stellt körperliche Veränderungen wie abnehmendes Haupthaar und zunehmenden Bauchumfang fest und merkt, dass man in Diskussionen bei anderen, ernsteren Themen als früher landet. Oder haben Sie mit 20 über Altersvorsorge und Familienplanung gesprochen?
Es ist trotz obigem Gejammer zum Glück nicht so, dass ich meiner Jugend wahnsinnig nachtrauere, auch wenn sie schon sehr viel Gutes zu bieten hatte. Wenn ich aber an der Fasnacht Teenager-Liebespaare sehe, die sich in einem Moment eine tränenreiche Szene machen, wenige Minuten später Vollgas am Tresen rumknutschen, dann denke ich mir: «Been there, done that.»
Es fällt einfacher, Entscheidungen zu fällen
Die Fragen, die ich mir stelle, haben sich verändert. Es geht um Längerfristiges wie etwa die Familienplanung oder die Betriebsentwicklung. Vor allem hat sich aber auch die Herangehensweise an diese Fragen verändert.
Ich denke, es fällt mir heute einfacher als früher, Entscheidungen zu fällen, die für mich stimmig sind. Vielleicht auch deshalb, weil ich mich besser kenne. Schliesslich habe ich nun schon 35 Jahre lang ziemlich intensiven Kontakt mit mir. Da lernt man so einiges, wenn man sich auch mal zuhört.
Man wird also älter. Ja, das ist nicht nur lustig, aber ein bisschen schon auch, zum Glück. Zum Beispiel, als mich an meinem Geburtstag meine Freunde zunächst ins Yoga und anschliessend zum Essen begleiteten. Die Zusage-Quote war überraschend hoch.
Ich stellte fest: «Man wird älter» gilt nicht nur für mich, sondern auch für meine Freunde. Die meisten begleiten mich auch schon seit geraumer Zeit durchs Leben. Und es ist sehr schön, gemeinsam weitere Episoden zu erleben. Und sich ab und zu an die Vergangenen zu erinnern. Mit anderthalb lachenden Augen.
Hagenbuchs Randnotizen
Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten in Rottenschwil und Unterlunkhofen im Kanton Aargau.
Hagenbuch erzählt in seiner Kolumne von Alltäglichem und Aussergewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischem Blick und einem Augenzwinkern.