Die Raps- und Getreideernte ist längst Geschichte. Im Jahr 2022 – besonders im Vergleich zum letzten Jahr – sogar eine relativ entspannte Geschichte. Ich denke kaum, dass schweizweit viele Mähdrescher tiefe Spuren in den Feldern hinterlassen haben oder gar aus dem Dreck gezogen werden mussten, zu trocken waren die Böden. Spannend war also in diesem Jahr nicht die Frage, ob der Mähdrescher absäuft oder nicht, sondern die alljährlich übliche Frage: Wie hoch sind die Erträge?
Die Erträge bei den Getreidekulturen bewegen sich meistens in einer einigermassen überschaubaren Bandbreite. Was mich bei der Diskussion über die gedroschenen Tonnen aber immer wieder erstaunt, ist die vielerorts gepflegte Geheimniskrämerei. Ich habe den Eindruck, manchen Berufskollegen ziehen sich sofort die Gedärme zusammen, wenn ich sie direkt frage, wie viel Kilogramm ihr Weizen gedroschen wiegt.
In einem ersten Schritt wird dann so etwas in dieser Art gesagt: «Ja, doch, wir waren recht zufrieden, vor allem im Vergleich zu letztem Jahr.» Meine Frage lautete aber: Wie viel Kilo Weizen hast du gedroschen? Ich frage also manchmal nach: Und was heisst das konkret?
Es folgt dann meistens so etwas wie «rund 80 Kilo», «leicht mehr als der Standardertrag» oder sonst etwas eher Weichgespültes. Wenn ich dann noch ein drittes Mal nachfrage, bekomme ich entweder widerwillig eine konkrete Zahl oder die Antwort, so genau wisse man es auch nicht. Komisch, ich weiss eigentlich immer genau, wieviel Kilo wir gedroschen haben. Es ist schliesslich das Erste, was ich an der Getreidesammelstelle nach Erhalt des Empfangsscheins tue: Den Ertrag pro Hektare ausrechnen.
Worin liegt der Vorteil, etwas zu verschweigen?
Weshalb es manchen schwerzufallen scheint, über ihre Erträge zu sprechen, verstehe ich nicht wirklich. Ich gehe einmal davon aus, dass sich auch hier die allermeisten in einer überschaubaren Bandbreite bewegen. Und selbst wenn jemand Ausreisser nach oben oder unten hat, sehe ich den Vorteil nicht, diese zu verschweigen.
Angenommen, jemand hat Spitzenerträge und sagt das auch so: Was könnten die negativen Konsequenzen sein? Dass ich fortan immer zur genau gleichen Zeit wie mein Nachbar säe, dünge und spritze? Dass ich vor Neid erblasse und nie mehr ein Wort mit der entsprechenden Person wechsle? Dass ich ihm nicht glaube und ihn als Lügner abstemple? Dass ich die Person verdächtige, beim Einsatz der Hilfsstoffe zu bescheissen? Oder dass ich seine Strategie kopiere, um ähnlich erfolgreich zu werden wie er? Das wäre relativ schwierig, denn ich wüsste ja erst den Ertrag und nicht, wie dieser zustande gekommen ist.
Oder andersrum: Ein Landwirt hatte eine lausige Ernte. Wo liegt das Problem, das zu sagen? Gilt man dann als schlechter Bauer? Ich verstehe es nicht. Es handelt sich hier ja auch nicht wirklich um Geschäftsgeheimnisse. Der Getreideanbau unterscheidet sich selten fundamental zwischen uns Landwirten.
Und wenn mein Nachbar eine meiner Strategien «kopiert», könnte ich mich ja sogar eher geschmeichelt fühlen. Denn, Achtung: Man hat selber gar nicht weniger, wenn ein anderer auch mehr hat. Und ich kenne kaum Betriebe, die primär von Anbau extensiver Ackerkulturen wie Weizen leben.
Nun, jedenfalls war ich mit unserer Raps- und Getreideernte mehrheitlich zufrieden. Wir bewegten uns etwas über dem Standardertrag. Jedenfalls war die Ernte deutlich besser als letztes Jahr.Und wenn Sie es genauer wissen möchten: Nur zu, ich gebe auf Nachfrage gerne konkrete Auskünfte. Aber so im Heft abgedruckt, das geht mir dann doch zu weit. Wieso, weiss ich eigentlich auch nicht genau …
«Plötzlich Bauer»
Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG.
Hagenbuch begann sich erst spät für die Landwirtschaft zu interessieren. In seiner Kolumne erzählt er von Alltäglichem und Aussergewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischem Blick und einem Augenzwinkern.