Neulich ist es passiert. Ich habe schlechte Werbung für die Landwirtschaft gemacht. Nicht absichtlich, aber ich konnte in diesem Moment nicht anders. Ich habe aus dem Traktor heraus einer Spaziergängerin den Finger gezeigt. Den mittleren Finger mit erhobener Faust, um genau zu sein. Und das ging so:
Nach dem Silieren brachten wir auf unseren abgemähten Parzellen Riedstreue für den Naturschutz aus. Wir waren an diesem Dienstag im Mai nicht die einzigen, die auf den Flurstrassen zwischen Rottenschwil und Werd unterwegs waren. Die Wege waren gesäumt von zahlreichen Spaziergängern, Reiterinnen und Hundebesitzern. Eigentlich ein guter Tag: Das Futter siliert, die Felder gut befahrbar, die Motoren tüchtig am Brummen.
Normalerweise kommt man auf den schmalen Flurstrassen gut aneinander vorbei. Mit dem Traktor fahre ich langsam, wenn ich mich jemandem nähere. Die Spaziergänger und Tierhalterinnen weichen ebenso wie ich etwas zur Seite, man grüsst sich (erhobener Zeigefinger, Sie erinnern sich) und gut ist.
An jenem Dienstag war jedoch diese eine betagte Frau mit ihrem Hund unterwegs. Sie bewegte sich in absolutem Schneckentempo von A nach B. Das führte dazu, dass ich die beiden – Frau und Hund – insgesamt vier Mal mit einem vollen Fuder überholen musste, da sie sich ebenfalls zwischen Feld und Streuhaufen bewegte.
Das erste Mal: Ich fahre langsam auf die Frau zu. Sie hört mich, nimmt den Hund bei Fuss, bleibt halblinks auf dem Flurweg stehen. Ich kann nicht vorbei, ohne dabei von der Strasse zu fahren. Mittels Blickkontakt und Zeichensprachen versuche ich anzudeuten, sie solle ein wenig zur Seite stehen, woraufhin sie – im Schneckentempo – die Fahrbahn frei gibt.
Das zweite Mal: Anfahrt wie beim ersten Mal. Die Frau rückt ganz langsam zur Seite, ich fahre langsam an ihr vorbei und lache entschuldigend für die erneute «Störung». Sie schüttelt humorfrei den Kopf.
Das dritte Mal: Die Frau bleibt ziemlich weit in der Strasse stehen und zeigt mir an, ich solle neben der Strasse (durch eine Ökowiese) fahren, um vorbeizukommen. Ich zeige auf den vollen Mistzetter und lache entschuldigend. Ich fahre ganz am Rand der Strasse, passiere die Frau in relativ knappem Abstand, jedoch in sehr geringem Tempo.
Das vierte Mal: Die Frau sieht mich von weitem, steht an den Rand, schaut mich böse an und zeigt mir den Vogel (sprich: Zeigefinger an die Schläfe). Und da passierte es: Ohne gross nachzudenken, als Reflex sozusagen, erhob ich meine linke Hand. Üblicherweise tue ich das auf dem Traktor, um den Zeigefinger auszufahren und Berufskollegen oder andere Menschen zu grüssen. Diesmal nicht. Ich drehte die Handinnenfläche nach oben, ballte die Faust und liess dabei den Mittelfinger stehen. So fuhr ich also erhobenen Stinkefingers ein letztes Mal an der Frau und ihrem Hund vorbei.
Eine Minute lang fühlte sich das sehr gut an. Dieser dummen Kuh habe ich es gezeigt! Dann schaltete sich der Kopf wieder ein: Toll, Sebastian, du hast einer alten Frau mit Hund den Stinkefinger gezeigt – Chapeau. Damit trägst du viel zu einer besseren Diskussionskultur zwischen landwirtschaftlicher und nicht-landwirtschaftlicher Bevölkerung bei …
War das schlau? Sicher nicht. Weder für mich, noch für die Abstimmungen, noch für den Berufsstand. Vermutlich auch nicht für die Frau mit Hund. Ich weiss ja mittlerweile, dass ich impulsives Verhalten im Nachhinein meistens bereue. Aber Wissen und Umsetzen sind bekanntlich zwei Paar sehr unterschiedliche Schuhe. Ich als ehemaliger Student muss das schliesslich wissen.
«Plötzlich Bauer»
Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten im Freiamt AG. Er arbeitet in einem Teilzeitpensum als Redaktor Pflanzenbau für «die grüne».
Hagenbuch begann sich erst spät für die Landwirtschaft zu interessieren. In seiner Kolumne erzählt er von Alltäglichem und Aussergewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischen Blick und einem Augenzwinkern.