Die russische Armee bombt in der Ukraine ganze Städte in Schutt und Asche. Drei Millionen Menschen müssen flüchten, meist Frauen und Kinder. Die Männer bleiben und leisten Widerstand. Zurück bleiben auch Zehntausende von Bauernfamilien, die Vieh, Felder und Landtechnik nicht einfach stehen lassen können.
Den Landwirten fehlt das Futter für Kühe, Schweine und Geflügel. Und die Felder können sie ohne Treibstoff für die Traktoren nicht bestellen, Dünger gibt es sowieso keinen mehr.
Weil die Ukraine weltweit einer der grössten Getreide-Exporteure ist, hat dies in vielen Ländern verheerende Auswirkungen. «Für die Schweiz sind die direkten Abhängigkeiten zur Ukraine und Russland aber gering», beruhigt man beim Bundesamt für Landwirtschaft BLW. Die Versorgung sei generell sichergestellt.
Das war nicht immer so: Bis 1930 wurden nur 15 bis 25 Prozent Brotgetreide im Inland produziert. Erst in den Nachkriegsjahren nahm der Selbstversorgungsgrad SVG zu. Dank Fortschritten in der Züchtung, der Bodenbearbeitung und Ernte, aber auch durch Umstellung auf ertragsstärkere Getreidesorten.
In den 1980er-Jahren produzierte die Schweiz sogar mehr Brotgetreide, als sie selber verbrauchte. Danach nahm die Getreide-Anbaufläche wieder ab. Wir haben beim Brotgetreide aber immer noch einen Selbstversorgungsgrad von über 90 Prozent.
Trotzdem fordert die SVP einen «Plan Wahlen 2.0», mit dem auf geplanten Biodiversitäts-Flächen stattdessen Nahrungsmittel angebaut werden sollen. Wie im Zweiten Weltkrieg, als die Schweiz mit der «Anbauschlacht» einer Lebensmittelknappheit vorbeugte.
Die SVP nutzt den blutigen Krieg in der Ukraine als Gelegenheit für einen verbalen Tiefschlag gegen «unsinnige Ökoprojekte in der Landwirtschaft». Ihre Lösung: «Statt Schmetterlinge zu zählen, müssen wir jetzt Weizen anpflanzen. Das gibt ein paar zusätzliche Tonnen Getreide und einen Haufen Brot.»
Diese Lösung ist einfach – und wie viele einfache Lösungen einfach falsch: Die Schweiz hat wie erwähnt genug Weizen, Blühstreifen machen nur 3,5 Prozent der Ackerfläche aus – und jedes Jahr werden auf Kosten der Bauern bis zu 10 Prozent von backfähigem Brotweizen zu Futterweizen deklassiert, während gleichzeitig zollfreies Brotgetreide importiert wird.
Es ist also sinnfrei, den Plan Wahlen aus der Schublade zu holen. Für dieses Gerede einer neuen «Anbauschlacht» hat die Landwirtschaft einen passenden Begriff: Phrasen dreschen.
Damit die Schweizer Landwirte das Land in einer Krise ernähren können, müssen wir nicht die Blühstreifen in Äcker umpflügen. Wir müssen die Abhängigkeit verringern von ausländischem Saatgut, ausländischem Dünger und ausländischen Pflanzenschutzmitteln.
Und dann müssen wir ausserhalb der Landwirtschaft den Hebel ansetzen: In unserer wohlstandsverwöhnten bis wohlstandsverwahrlosten Gesellschaft. So werden zum Beispiel von 100 kg geernteten Kartoffeln 66 kg Kartoffeln «aussortiert». Und das ist nur ein Beispiel von vielen. In der Schweiz werden jedes Jahr 2,8 Millionen Tonnen Lebensmittel vernichtet, 330 Kilogramm pro Person.
Solange in der Verarbeitung, im Handel, in der Gastronomie und in den Haushalten skandalös viele Lebensmittel vernichtet werden, wird mit diesem populistischen «Plan Wahlen 2.0» das Pferd von hinten aufgezäumt.
Was meinen Sie? Welchen Weg soll die Schweizer Landwirtschaft in die Zukunft gehen, damit wir krisenresistent sind? Die Kommentarspalte unter diesem Ediorial ist wie immer offen für Ihren Diskussionsbeitrag.
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