Nachdem die Massentierhaltungs-Initiative MTI am 25. September mit 62,9 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt wurde, herrscht der grosse Katzenjammer bei den MTI-InitiantInnen und beim Schweizer Bauernverband SBV. Auch wenn man dies natürlich nie zugeben würde. Katzenjammer auch bei den Schweizer Bauernfamilien und bei den Schweizer KonsumentInnen.
Katzenjammer bei den MTI-Initianten wegen der Weltwirtschaftskrise
Der erste Grund für den Katzenjammer bei den MTI-InitiantInnen: Über ihre Massentierhaltungs-Initiative wird im dümmsten Moment abgestimmt – ausgerechnet während der grössten Weltwirtschafts-Krise seit Jahrzehnten.
Die InitiantInnen gingen bei ihrem Volksbegehren von Frieden und steigendem Wohlstand aus. Die Realität des Jahres 2022 ist leider alles andere als Friede, Freude, Eierkuchen: Krieg in Europa, die Corona-Pandemie kommt und geht und kommt – und weltweit stehen ganze Wirtschaftszweige am Abgrund, die Preise für Energie und Lebensmittel steigen und steigen.
Das konnten die InitiantInnen im Juni 2018 natürlich nicht wissen. Aber in den diesen Zeiten hatte ihre Forderung nach teureren Lebensmitteln (weil Bio) bei den Schweizer StimmbürgerInnen logischerweise keine Chance.
Die MTI-Initiative hätte die Selbstversorgung geschwächt
Der zweite Grund für den Katzenjammer bei den MTI-InitiantInnen: Mit dem Wirtschaftskrieg, der durch den Krieg von Russland gegen die Ukraine und die westlichen Staaten ausgelöst wurde, ist die lange vernachlässigte Versorgungssicherheit plötzlich wieder ein Thema. Die Massentierhaltungs-Initiative fordert aber eine massive Reduktion der Anzahl von Legehennen, Schweinen und Rindern pro Betrieb auf eine Herdengrösse, die nicht mehr wirtschaftlich ist.
Weil sich keine Bauernfamilie den Luxus leisten kann, für gleich viele Tiere mehr Ställe zu bauen – und das Schweizer Raumplanungsgesetz solche Ställe auch nicht erlaubt – würden logischerweise weniger Fleisch und Eier produziert und die Versorgungssicherheit nochmals verringert. Was wohl auch StimmbürgerInnen ohne agronomische Ausbildung verstanden haben.
Die MTI-InitiantInnen unterschätzten den gesunden Menschenverstand der StimmbürgerInnen
Der dritte Grund für den Katzenjammer bei den MTI-InitiantInnen: Sie hatten den gesunden Menschenverstand der StimmbürgerInnen unterschätzt.
Mastbetriebe müssen in der Schweiz heute schon die strengsten Auflagen weltweit erfüllen. Würde und Wohlergehen der Nutztiere sind bereits geschützt. Unsere Landwirte ziehen die Nutztiere verantwortungsbewusst auf. Nur schon deshalb, weil kranke oder tote Nutztiere logischerweise kein Einkommen bringen. Auch das haben die StimmbürgerInnen verstanden.
Katzenjammer auch beim Schweizer Bauernverband SBV wegen der teuren Kampagnen
Der erste Grund für den Katzenjammer beim Schweizer Bauernverband SBV: Die kostspieligen Kampagnen gegen die Agrar-Initiativen haben in den letzten Jahren viel Geld und grosse personelle Ressourcen verschlungen. Dies dürfte im doppelten Sinne des Wortes auf Kosten von wichtigen Projekten geschehen sein.
Der zweite Grund für den Katzenjammer beim Schweizer Bauernverband: Die Abstimmungs-Kampagnen beider Seiten haben wenig zur Aufklärung der nicht-landwirtschaftlichen Bevölkerung beigetragen – dafür aber unsere Gesellschaft gespalten. Die Landwirte werden nicht mehr als Versorger unseres Landes betrachtet, sondern als Subventions-Profiteure mit einer klandestinen Lobby im Bundeshaus und in den Konzernen.
Letzteres ist der dritte Grund für den Katzenjammer beim Schweizer Bauernverband: Der Kuhhandel mit Economiesuisse, dem Schweizerischen Gewerbeverband und dem Schweizerischen Arbeitgeberverband, hat in der Bevölkerung viel Goodwill zerstört. Kommt dazu, dass es alles andere als sicher ist, dass die Wirtschaftsverbände unsere Bauernfamilien nicht bei der nächsten Gelegenheit ans Messer liefern.
Katzenjammer bei den Bauern, dem ewigen «Schwarzen Peter»
Es war wohl das erste Mal in seiner Geschichte, dass der Schweizer Bauernverband seine Mitglieder mit sanfter Gewalt dazu bringen musste, die Kampagnen-Plakate auf ihren Wiesen am Strassenrand aufzustellen und die Kampagnen-Fahnen an ihren Stallwänden aufzuhängen.
Die Schweizer Bauernfamilien haben genug davon, für unsere Gesellschaft ständig den «Schwarzen Peter» zu spielen. Seit Jahren jagt eine Agrar-Reform die andere, folgt eine Agrar-Initiative der anderen. Und wie im Kartenspiel wird die «Schwarze Peter»-Karte einfach an die Landwirte weiter gegeben, die dann die Verlierer sind.
In Gesprächen mit LandwirtInnen in der ganzen Schweiz hörte ich in den letzten Monaten immer dieselbe Klage: «Wir wollen nicht mehr, wir können nicht mehr!» Mit ein Grund dafür sind die ständig ändernden Ansprüche der KonsumentInnen.
Katzenjammer herrscht auch bei den KonsumentInnen
Wenn man sie fragt, wollen natürlich alle KonsumentInnen eine tiergerechte Haltung. Wenn es jedoch darum geht, unseren Schweizer Bauernfamilien die tiergerechte Haltung zu bezahlen, will keiner mehr etwas davon wissen. «Wir wollten doch nur …», heisst es dann im Katzenjammer.
Der Marktanteil von Bio-Produkten am gesamten Lebensmittelmarkt in der Schweiz stagniert seit Jahren knapp über 10 Prozent. Bei IP-Suisse ist der Anteil höher – aber auch nur, weil die Preise tiefer sind.
Die MTI-Initiantin und Nationalrätin Meret Schneider brachte es auf den Punkt: «Die Schweizer werfen lieber ein billiges Entrecôte auf den teuren High-End Smoker als ein teures Weiderind in die billige Ikea-Pfanne.»
Optimistisch gesehen haben viele StimmbürgerInnen, die auch KonsumentInnen sind, diesen Widerspruch offenbar bemerkt und waren so konsequent, gegen die Massentierhaltungs-Initiative zu stimmen.
Pessimistisch gesehen haben die StimmbürgerInnen an der Urne genau so abgestimmt wie in Migros und Coop: Mit dem Portemonnaie. Also nicht, weil sie von der Nutztierhaltung in der Schweiz überzeugt sind, sondern weil sie weiterhin billig Fleisch und Eier kaufen wollen.