Nicht nur die Wirtschaft und Verbände lobbyieren im Bundeshaus, immer stärker auch die Kantone. Die Berner Politologin Rahel Freiburghaus zeigt im Buch «Lobbyierende Kantone», wie sich die Schweizer Kantonsregierungen gegenüber dem Bund Gehör verschaffen.
Lange haben die Kantone den Gesetzgebungsprozess der Schweiz vernachlässigt. Die Konferenz der kantonalen Landwirtschaftsdirektoren LDK hat zum Beispiel erst im Juli 2020 ihr Generalsekretariat im Haus der Kantone in Bern eingerichtet. Dort, an der Speichergasse 6 in Bern, arbeiten die Sekretariate der verschiedenen kantonalen Regierungsrats- und Direktorenkonferenzen.
Einblick in die «Maschinerie» des Schweizer Föderalismus
Rahel Freiburghaus hat die Strategien aller 26 Kantonsregierungen systematisch recherchiert. Entstanden ist ein einmaliger Blick in die «Maschinerie» des Schweizer Föderalismus – die heute wild vor sich hin rattert.
Unter der «Motorhaube» einer gut eidgenössischen Ordnung aus Konferenzen und Konkordaten kocht es nämlich gewaltig, erklärt Freiburghaus: «Das Kantonslobbying ist ungezähmt, es herrscht ein freies Spiel der Kräfte. Und es existiert keine Transparenz darüber, wer wo welche informellen Absprachen trifft.»
Umkehrt sind die Ständeräte schon lange keine Kantonsvertreter mehr, sondern Parteipolitiker. Regierungsräte, die gleichzeitig im Ständerat sitzen, gibt es praktisch nicht mehr.
Die neuen Lobbyisten der Kantone fragen: Bekommt mein Kanton mehr Geld oder zahlt er drauf? Erhält er Kompetenzen oder muss er sie abgeben? Dagegen haben die Kantone gemäss Freiburghaus verschiedene Strategien entwickelt:
- Die Taktierer, wie Bern oder Zürich, die sehr gezielt, dafür umso hartnäckiger Geschäfte beackern.
- Die Diskreten, vor allem ländliche Kantone, die zurückhaltend ans Werk gehen.
- Die Maximierer, wie Genf, die Waadt und Freiburg, Luzern und das Tessin, die alle Mittel einsetzen.
Die Maximierer beantworten jede Vernehmlassung (mit welcher der Bund die Kantone zur Kommentierung neuer Gesetze usw. einlädt), sie organisieren Briefings der Parlamentarier vor Kommissionssitzungen oder Treffen mit Kadern der Bundesverwaltung und putzen auch mal direkt dem Direktor eines Bundesamtes die Kutteln.
Und wenn die Kantonsregierungen die Bundesbeamten aus ihrem Kanton zum Apéro einladen, wird erwartet, dass die Beamten danach in Bundes-Bern für die Heimat lobbyieren.
Der Bund will die «Maschinerie» der Kantone zähmen
Besonders erfolgreich sind die Kantone, wenn sie sich im Vorfeld untereinander einigen und geschlossen gegen den Bund auftreten.
Kein Wunder, möchte der Bund das Lobbying der Kantone einschränken, Transparenz schaffen und so die wild ratternden «Maschinerie» zähmen.
Für Rahel Freiburghaus wäre eine sinnvolle Lösung, die Staatsebenen zusammenzuführen: Bund und Kantone sollten sich in einem gemein-samen Gremium versammeln, das die Kompetenz hätte, verbindliche Entscheidungen zu fällen.
Die Idee scheitert an der Realität: «Wir sind im typisch schweizerischen Durchwurstel-Modus. Niemand ist glücklich mit dem Ist-Zustand, aber alle Beteiligten haben sich damit arrangiert.»
Rahel Freiburghaus: Bauerntochter und von den Medien gefragte Politologin
Die Berner Politologin Rahel Freiburghaus (28) ist als Bauerntochter in Mühleberg BE aufgewachsen. Sie ist eine der vielversprechendsten neuen Stimmen in der Schweizer Politikwissenschaft.
Freiburghaus hat an der Uni Bern studiert und ihre Dissertation zum Einfluss der Kantonsregierungen auf die Bundespolitik geschrieben. Sie arbeitet dort als Post-Doktorandin von Professor Adrian Vatter.
«Lobbyierende Kantone»
von Rahel Freiburghaus
Taschenbuch, 550 Seiten
Nomos Verlag, 1. Auflage 2024
ISBN 978-3756014088
153 Franken