Eine Allianz aus 29 Organisationen, Verbänden und Parteien hat innert drei Monaten 100'000 Unterschriften für ein «Referendum gegen den Autobahn-Bauwahn» gesammelt – doppelt so viele wie nötig – und am 11. Januar 2024 in der Bundeskanzlei in Bern eingereicht. Angeführt wird die Allianz vom Verkehrsclub der Schweiz VCS und der verkehrspolitischen Umweltorganisation Umverkehr.
Das Referendum richtet sich gegen den Parlamentsentscheid vom 20. September 2023, mit dem 5,3 Milliarden Franken für den Ausbau der Schweizer Autobahnen fliessen sollen Während der Entscheid im Nationalrat eher knapp war, stimmte der Ständerat (also die Vertreter der Kantone) klar für einen Autobahn-Ausbau:
- Nationalrat: 107 Ja- zu 87 Nein-Stimmen bei 1 Enthaltung
- Ständerat: 33 Ja- zu 6 Nein-Stimmen bei 5 Enthaltungen
Das Parlament erhöhte das Budget des Bundesrates für Autobahn-Ausbauprojekte sogar von 4,4 Milliarden auf 5,3 Milliarden Franken. Mit den zusätzlichen 911 Millionen Franken soll auch ein Teilstück der Autobahn A1 am Genfersee auf sechs Spuren ausgebaut werden.
Zudem hat der Nationalrat im September 2023 eine Motion von Nationalrat Erich Hess (SVP) angenommen, der einen generellen Ausbau der Autobahn A1 zwischen Bern und Zürich sowie zwischen Lausanne und Genf auf sechs Spuren fordert. Der Nationalrat hat die Motion in der Herbssession 2023 mit 94 zu 87 Stimmen bei 4 Enthaltungen angenommen. Als Nächstes muss der Ständerat über die Motion befinden.
Auf welchen Teilstrecken sollen die Autobahnen ausgebaut werden?
- Ausbau der Autobahn A1 zwischen Bern-Wankdorf und Schönbühl BE auf acht Spuren und zwischen Schönbühl und Kirchberg BE auf sechs Spuren.
- Bau einer dritten Röhre des Rosenbergtunnels der Autobahn A1 bei St.Gallen.
- Bau einer zweiten Röhre des Fäsenstaubtunnel der Autobahn A4 in Schaffhausen.
- Bau eines neuen Rheintunnels zwischen Bisfelden BL und Kleinhüningen BS zur Entlastung der A2-Osttangente im Raum Basel vom Durchgangsverkehr.
- Ausbau der Autobahn A1 am Genfersee zwischen Le Vengeron GE und Nyon VD auf sechs Spuren.
Voraussichtlich im Herbst 2024 werden die Stimmbürger über den Autobahn-Ausbau entscheiden können. Die Abstimmung ist nicht nur eine Entscheidung über die Verkehrspolitik, sondern auch eine Abwägung zwischen ökologischen Bedenken und wirtschaftlichen Interessen.
29 Organisationen und Verbände sowie Grüne, SP und GLP gegen den Autobahn-Ausbau
Die 29 Organisationen, Verbänden und Parteien hinter dem «Referendum gegen den Autobahn-Bauwahn» bezeichnen einen Autobahn-Ausbau dieser Grössenordnung als übertrieben, überholt und überteuert. Nach dem Ja zum Klimaschutz-Gesetz am 18. Juni 2023 sei statt eines Ausbaus ein Marschhalt im Strassenbau angezeigt.
«Viele Menschen haben kein Verständnis, weshalb der Bund mitten in der Klimakrise Milliarden in den Autobahn-Bauwahn investiert und ganze Landstriche wertvollen Kulturlandes vernichtet», erklären die Organisationen hinter dem Referendum.
Der Ausbau von Autobahnen schaffe zudem mehr Verkehr, was den Zielen der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes entgegenstehe. Man löse das Stauproblem nicht, indem man mehr Autobahnen baue. Ein Kapazitätsausbau führe nur zu noch mehr Verkehr und Stau.
Im Parlament haben neben den Grünen und den Sozialdemokraten auch die Grünliberalen gegen den Autobahn-Ausbau für 5,3 Milliarden Franken gestimmt.
Die bürgerlichen Parteien SVP, FDP und Mitte für den Autobahn-Ausbau
Die Befürworter betonen die Bedeutung der Autobahnen für die Wirtschaft, insbesondere für den Gütertransport und die Erreichbarkeit ländlicher Gebiete. Diese seien essenziell für das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz.
Im Parlament haben die bürgerlichen Parteien SVP, FDP und Mitte für den Autobahn-Ausbau gestimmt. Unterstützt wurden sie von den Wirtschaftsverbänden – und dem Schweizer Bauernverband SBV.
Der Berner Bauern Verband und der Schweizer Bauernverband sind sich noch uneins
Zuvor hatten dagegen zwei kantonale Bauernverbände gegen die A1-Erweiterung gekämpft, weil Landwirte durch den Ausbau der A1 wertvolles Ackerland verlieren:
- Der Solothurner Bauernverband SOBV hatte schon 2018 seinen Mitgliedern geraten, Einsprachen zu machen gegen den Ausbau des 22 Kilometer langen Autobahn-Teilstücks zwischen Luterbach und Härkingen für 886 Millionen Franken von vier auf sechs Spuren.
- Der Berner Bauern Verband BEBV klagte 2023 gegen den geplanten Ausbau des sechs Kilometer langen Autobahn-Teilstücks im Grauholz (von Kirchberg bis Muri) für 429 Millionen Franken auf acht Spuren. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Klage ab.
Der Schweizer Bauernverband SBV hatte sich wie erwähnt für einen Ausbau der Autobahn A1 auf dem Autobahn-Teilstück im Grauholz ausgesprochen.
Die Landwirtschaftskammer LAKA (das Parlament des SBV) wird die Parole zum «Referendum gegen den Autobahn-Bauwahn» erst am 26. April 2024 fassen.
Diese Folgen hat der Autobahn-Ausbau für die betroffenen Landwirte
Wo Autobahnen ausgebaut werden, verschwindet Landwirtschaftsfläche. Konkret benötigt der geplante Autobahn-Ausbau 30 Hektaren Fruchtfolgeflächen, besonders wertvolles Ackerland also, und dazu weitere landwirtschaftliche Nutzfläche.
Ist ein Landtausch nicht möglich und kommt keine gütliche Lösung zustande, werden die Bauern enteignet. Für das Land, das ihnen genommen wird, erhalten sie vom Bund eine von einem speziellen Gericht festgelegte Entschädigung.
Die Befürworter des Autobahn-Ausbaus betonen aber, dass den Bauern für Fruchtfolgeflächen Land zum Tausch angeboten werde. Das Bundesamt für Strassen (Astra) selbst verfügt nur über wenig landwirtschaftlich nutzbare Flächen, die man tauschen könnte. Man ist deshalb auf Kantone und Gemeinden angewiesen.
Zwischen 1985 und 2018 sind die Landwirtschaftsflächen in der Schweiz um 7 Prozent geschrumpft. Autobahnen und andere Strassen brauchten im selben Zeitraum 15 Prozent mehr Platz.