Das Schweizer Volk stimmt am 3. März 2024 über zwei extrem gegensätzliche Volksinitiativen zur Alters- und Hinterlassenenversicherung AHV ab, also zur obligatorischen Rentenversicherung der Schweiz:
- Hinter der Volksinitiative «Für ein besseres Leben im Alter» (kurz: Initiative für eine 13. AHV-Rente) stehen der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB und die Sozialdemokratische Partei SP. Diese Initiative verlangt eine 13. Monatsrente für AHV-RentnerInnen.
- Hinter der Volksinitiative «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge» (Renteninitiative) stehen die Jungfreisinnigen. Sie wollen das Rentenalter an die durchschnittliche Lebenserwartung koppeln.
Bis 2033 würde das Rentenalter für beide Geschlechter schrittweise von 65 auf 66 Jahre steigen, und anschliessend an die Lebenserwartung gekoppelt werden: Pro Monat zusätzlicher Lebenserwartung soll das Rentenalter um 0,8 Monate erhöht werden – auf 67, 68, 69 oder mehr Jahre.
Gemäss jüngsten Umfragen hat die Initiative für eine 13. AHV-Rente am 3. März 2024 reelle Chancen, von den StimmbürgerInnen angenommen zu werden. Die Renteninitiative wird mit grosser Wahrscheinlichkeit abgelehnt.
Wer ist für eine 13. AHV-Rente und wer ist dagegen?
– Bundesrat und Parlament empfehlen die Initiative für eine 13. AHV-Rente zur Ablehnung.
– Für die 13. AHV-Rente sind neben dem Gewerkschaftsbund und Travail Suisse auch die SP und die Grünen. Interessant ist, dass die SVP-Parteileitung vehement gegen das Anliegen ist – doch Teile der SVP-Basis sind für die 13. AHV-Rente. So hat die Genfer SVP die Ja-Parole beschlossen, die Unterwalliser SVP Stimmfreigabe. Weitere SVP-Sektionen könnten folgen.
– Gegen die 13. AHV-Rente sind die bürgerlichen Parteien SVP, FDP, die Mitte (die in dieser Frage gespalten ist) und die Grünliberalen GLP sowie der Arbeitgeberverband und der Gewerbeverband.
– Und der Schweizer Bauernverband? Am 11. Januar 2024 beschloss die Landwirtschaftskammer LAKA des Schweizer Bauernverbandes (das Parlament des SBV) mit 75 zu 10 Stimmen die Nein-Parole zur Initiative für eine 13. AHV-Rente.
Die AHV-Rente deckt die Lebenshaltungskosten nicht mehr
Die Initiative für eine 13. AHV-Rente komme «genau zum richtigen Zeitpunkt», erklären die Initianten. Mit der Teuerung, steigenden Mieten und höhere Krankenkassen-Prämien verlieren die RentnerInnen bis Ende 2024 eine ganze Monatsrente. Die 13. AHV-Rente könne diesen Kaufkraft-Verlust ausgleichen.
Tatsächlich ist die AHV-Rente heute so tief, dass eine mittlere AHV-Rente von knapp 1800 Franken pro Monat die Lebenshaltungskosten nicht mehr deckt. Die Rentenlücke wird zunehmend besorgniserregend, und die steigenden Lebenshaltungskosten verschärfen das Problem.
Wer kann von der Initiative für eine 13. AHV-Rente profitieren?
Für 90 Prozent der Erwerbstätigen lohnt sich eine Stärkung der AHV, denn nur in der AHV beteiligen sich alle Einkommensklassen – und es profitieren alle von direkten Rentenverbesserungen, insbesondere auch die Frauen. Für sie ist die AHV besonders wichtig: denn nur hier wird ihre unbezahlte Arbeit in höhere Renten umgewandelt.
Eine Stärkung der AHV ist im aktuellen Umfeld umso wichtiger, denn in der Zweiten Säule (berufliche Vorsorge) gibt es weder einen Schutz vor Inflation noch garantierte Rentenleistungen für die Lohnbeiträge.
Das Parlament will zudem die Leistungsgarantien in der Zweiten Säule weiter senken und die Lohnbeiträge massiv ausbauen. Und dies trotz ausgezeichneter finanzieller Lage der Pensionskassen, bei denen die Kosten und die Gewinne für die Anbieter laufend steigen. Ganz im Gegensatz zur AHV, bei der die Verwaltungskosten auf einem tiefen Niveau stabil sind.
Soviel mehr würde die 13. AHV-Rente kosten
Eine Annahme der Initiative für eine 13. AHV-Rente hätte logischerweise zur Folge, dass die jährlichen Ausgaben der Alters- und Hinterlassenenversicherung steigen würden.
- Ausgehend von AHV-Ausgaben von 50 Milliarden Franken (2024) würden sich mit einer 13. AHV-Rente die Ausgaben ab 2026 um 8,3 Prozent erhöhen. Für die AHV werden also 4,2 Milliarden Franken zusätzlich benötigt.
- Dazu kommen (unabhängig von der Initiative für eine 13. AHV-Rente) zusätzliche Ausgaben durch die steigende Lebenserwartung und den Übertritt der Babyboomer-Generation (Nachkriegs-Jahrgänge 1946 bis 1964) ins Rentenalter. 2030 werden damit zusätzliche 0,8 Milliarden Franken zusätzlich nötig.
Wie kann eine 13. AHV-Rente finanziert werden?
Die AHV erzielt jährlich 3 Milliarden Franken Überschuss. Damit wird das AHV-Vermögen bis 2030 auf 67 Milliarden Franken steigen, das sind rund 20 Milliarden Franken mehr als heute. In den nächsten Jahren reicht das Geld in der AHV-Kasse also für eine 13. AHV-Rente, auch dank dem höheren Frauenrentenalter und der höheren Mehrwertsteuer.
Wenn für eine 13. AHV-Rente trotzdem mehr Abgaben nötig sein sollten, gibt es verschiedene Möglichkeiten:
- Höhere Lohnprozente, was zu den aktuellen 8,7 Prozent zusätzliche 0,8 Prozent ausmachen würde (zusätzlich je 0,4 Prozent für Arbeitgeber und Arbeitnehmer) – was sozial verträglich wäre. Grossverdiener zahlen deutlich mehr AHV-Beiträge als Geringverdiener, die Rente ist für beide aber auf maximal 2450 Franken monatlich begrenzt. So erhalten 90 Prozent der AHV-RentnerInnen mehr aus der AHV, als sie je eingezahlt haben.
- Verschiebung von Lohnprozenten von den Pensionskassen in die AHV (PK-Beitrag heute je nach Alter 7 bis 18 Prozent).
- Erhöhung der Mehrwertsteuer von meist 8,1 Prozent des Produktpreises um 1 Prozent – was aber tiefere Einkommen verhältnismässig stärker belastet.
- Finanztransaktions-Steuer oder Erbschafts-Steuer zugunsten der AHV.
- Nationalbank-Geld, sobald diese wieder ausserordentliche Gewinne schreibt.
Die Volksinitiative für ein höheres Rentenalter
Die Volksinitiative «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge» (Renteninitiative) der Jungfreisinnigen kostet finanziell nichts, verlangt aber von den ArbeitnehmerInnen ein längeres Arbeitsleben. Die AHV-Kasse würde durch die Renteninitiative aber entlastet, im Jahr 2030 beispielsweise um 1 Milliarde Franken.
Die Gegner der Renteninitiative bezeichnen diese als «Angriff auf die Normalverdienenden und unbegründete Panikmache gegen die AHV» von Arbeitgebern und Banken.
Die Erhöhung des Rentenalters zielt an der Realität am Arbeitsmarkt vorbei. Wer es sich leisten könne, gehe schon heute früher. Mit der Erhöhung des AHV-Referenzalters könnten sich nur noch Grossverdiener eine Frühpensionierung leisten. Geringverdiener müssten mindestens bis 67 Jahre arbeiten, je nach Lebenserwartung sogar bis 70 Jahre und darüber.
Wer ist für und wer gegen die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen?
– Bundesrat und Parlament empfehlen die Renteninitiative zur Ablehnung.
– Für die Renteninitiative sind die Jungfreisinnigen und die FDP sowie voraussichtlich die SVP Schweiz. Die SVP-Delegiertenversammlung fasst die offizielle Parole allerdings erst am 27. Januar 2024.
– Gegen die Renteninitiative sind die Sozialdemokraten, die Mitte und die Grünliberalen GLP sowie der Gewerkschaftsbund und Travail Suisse. Im Parlament sagte auch die SVP-Fraktion mehrheitlich Nein.
– Und der Schweizer Bauernverband? Am 11. Januar 2024 beschloss die Landwirtschaftskammer LAKA des Schweizer Bauernverbandes (das Parlament des SBV) mit 76 zu 9 Stimmen die Nein-Parole zur Renteninitiative.