Jeder fünfte Arbeitsplatz im Kanton Freiburg ist ein Arbeitsplatz im Lebensmittelsektor und jedes fünfte landwirtschaftliche Erzeugnis der Schweiz hat mit dem Kanton Freiburg zu tun.
So sind zum Beispiel der Fleischverarbeiter Micarna, der Milchverarbeiter Cremo, die Schokoladenfabriken Cailler und Villars sowie eine Nespresso-Fabrik hier angesiedelt. Freiburg ist damit einer der wichtigsten Agrarkantone der Schweiz.
Die Freiburger Kantonsregierung (der Staatsrat) engagiert sich für eine produzierende Landwirtschaft und interessiert sich deshalb besonders stark für die Agrarpolitik. Diese wird aber nicht in den Kantonen, sondern grösstenteils in Bundes-Bern gemacht.
Bei der Tendenz zur Zentralisierung geht dort oft vergessen, dass die Kantone Gliedstaaten der Schweizerischen Eidgenossenschaft sind. In der Romandie spricht man noch heute vom Staat Freiburg oder von der République et canton de Genève.
Kantone sind Teil unseres föderalistischen Systems und haben deshalb das Recht und die Pflicht, sich entsprechend einzubringen.
Der Kanton Freiburg will seine Position in der Landwirtschaft stärken
Für Freiburg spielen dabei mehrere Kriterien eine Rolle. Hat ein Entscheid im Bundesparlament beispielsweise hohe finanzielle Kosten zur Folge oder führt zu hohem administrativem Aufwand, dann wird der Kanton aktiv (siehe die Buch-Besprechung «Lobbyierende Kantone im Visier der Wissenschaft»).
Das sind Kriterien, die sich auch auf den Bereich der Landwirtschaft anwenden lassen. Langfristiges Ziel des Kantons Freiburg ist es, seine wichtige Position im Agrarsektor und Lebensmittelsektor zu stärken und entsprechend die Ausrichtung der schweizerischen Agrarpolitik und Lebensmittelpolitik in seinem Interesse zu beeinflussen.
Der Kanton Freiburg setzt sich für eine professionelle, leistungsstarke sowie umweltfreundliche und tierfreundliche Landwirtschaft ein. Die Nahrungsmittelproduktion muss nachhaltig sein und den Akteuren der Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft die Möglichkeit geben, in einem zunehmend kompetitiven Umfeld ihre Betriebe zu erhalten und auszubauen.
Der Fokus liegt dabei weiterhin auf der Innovation und der Verbesserung der Wertschöpfung und der Positionierung der Produkte im Inland und Ausland. Eine solch langfristige Strategie setzt die Leitplanken beim Kantons-Lobbying.
Der Kanton Freiburg will eine zukunftsgerichtete Landwirtschaftspolitik
Die Kantone greifen so früh wie möglich ins Geschehen ein. Idealerweise wenn das Geschäft auf Stufe Bundes-Administration behandelt wird, spätestens aber, wenn ein Vorschlag des Bundesrates in die Konsultation geht.
Wie bei der Agrarpolitik AP22+. Der Bundesrat wollte das Landwirtschaftsgesetz anpassen, um die Effizienz der Betriebe zu stärken und die Umweltbelastung zu reduzieren.
Freiburg konnte sich wie die anderen Kantone zu dieser Anpassung in der Vernehmlassung äussern. Die Freiburger Kantonsregierung begrüsste in ihrer Antwort insbesondere, dass der finanzielle Rahmen von 14 Milliarden Franken (Zahlungsrahmen für vier Jahre) für die Landwirtschaft unverändert bleiben sollte, bemängelte jedoch die zunehmende administrative Belastung.
In der Phase der Vernehmlassung ist jedoch der Einfluss des Kantons Freiburg bereits relativ bescheiden. Es gibt unzählige andere Akteure, die ebenfalls ihre Interessen einbringen: Andere Kantone, die Bauernverbände, Branchenorganisationen und Umweltverbände. Aber auch die Lebensmittelindustrie und die Grossverteiler verfolgen eigene Interessen.
Im besten Fall können mehrere Kantone ihre Kräfte bündeln
Der Kanton Freiburg ist nur ein kleines Mosaiksteinchen im grossen Lobby-Apparat. Ganz im Sinne «Zusammen sind wir stark» geht es deshalb darum, entsprechende Allianzen zu schmieden. Je nach Thema und Interesse können diese Allianzen anders aussehen. Es gilt: je stärker meine Interessen mit einem einflussreichen Akteur übereinstimmen, desto wichtiger ist es, mit diesem Akteur eine Allianz zu bilden.
Die Kantone setzen die Entscheide der Bundespolitik um. Andere Kantone sind deshalb wichtige Partner. Doch ihre Interessen sind zum Teil sehr unterschiedlich:
- Die produzierenden Kantone im Mittelland sind an einem ausreichenden Grenzschutz interessiert.
- Für Landwirte in den Bergkantonen hingegen sind die Direktzahlungen – bis 40 Prozent des Umsatzes – eine Frage des Überlebens.
Die Kantone sind deshalb gleichzeitig Partner und Konkurrenten. Ohne Zusammenarbeit zwischen den Kantonen und ohne Kompromisse geht es jedoch nicht.
Wie der Kanton Freiburg zur Agrarpolitik AP22+ lobbyiert
Im Herbst 2022 begann die parlamentarische Phase zur Agrarpolitik AP22+. Ständerat und Nationalrat debattieren den Vorschlag und entscheiden.
Das ist eine wichtige Phase im Lobbying, auch für den Kanton Freiburg. Die Freiburger Landwirtschaftsdirektion ILFD hat die Vorlage aus Sicht des Kantons analysiert und Position bezogen. Ein wichtiger Hebel, um Einfluss zu nehmen, ist zudem die Konferenz der kantonalen Landwirtschaftsdirektoren LDK, in deren Vorstand der Freiburger Staatsrat Didier Castella sitzt.
Der Kanton Freiburg hat sich auch in der Arbeitsgruppe der LDK engagiert und mitgeholfen, eine Position zur AP22+ zu verfassen. Diese Position aller 26 Kantone hat im Bundeshaus bei den Parlamentariern durchaus Gewicht.
Die 8 Schritte zum Landwirtschaftsgesetz AP22+
1. Der Bundesrat macht ein Vorprojekt.
2. Dieses Vorprojekt geht bei interessierten Kreisen in die Vernehmlassung.
3. Der Bundesrat macht Änderungen und schickt die Botschaft (Gesetz) ins Parlament.
4. Die Wirtschaftskommission WAK des Ständerates studiert die Botschaft und macht Änderungsvorschläge, bevor sie in den Ständerat geht.
5. Dann ist der Nationalrat an der Reihe.
6. Bis zu drei Mal kann ein Geschäft zwischen Ständerat und Nationalrat hin und her wandern.
7. Dann stimmen Nationalrat und Ständerat darüber ab.
8. Wird das Referendum ergriffen gibt es eine Volksabstimmung. Das war bei der AP22+ nicht der Fall.
Der Einfluss in der Wirtschaftskommission des Ständerates
Im parlamentarischem Prozedere hat zuerst die Kommission für Wirtschaft und Abgaben WAK-S des Ständerates das Geschäft behandelt. Sie bereitet das Geschäft für das Plenum vor, also für alle 46 Ständeräte. Die Meinung der Kommission ist wichtig. Sie setzt sich oftmals auch im Plenum durch.
Der Kanton Freiburg hat zur Zeit keine Vertreterin in der WAK-S und somit keinen direkten Draht in die Kommission. In diesem Fall sucht der «Sektor für Aussenbeziehungen» des Kantons Freiburg Allianzen mit Kantonen, welche die gleichen Interessen in der Agrarpolitik haben.
Der «Sektor Aussenbeziehungen» wurde in Freiburg vor zwanzig Jahren geschaffen. Mittlerweile haben die meisten Kantone eine solche Abteilung. Das zeigt, wie wichtig die Bundespolitik für die Kantone ist. Die Kantonsverwaltungen haben dadurch ihr Wissen und ihre Kompetenz über die politischen Abläufe in Bundes-Bern vergrössert. Das Kantons-Lobbying, auch im Agrarbereich, ist in den letzten Jahrzehnten professioneller geworden.
Nach allem Lobbying fällt die Entscheidung im Parlament
Vor der Herbstsession 2022 traf sich die Freiburger Kantonsregierung mit den Freiburger ParlamentarierInnen. Die Landwirtschaftsdirektion hat zu diesem Anlass eine ausführliche Notiz zur Agrarpolitik AP22+ verfasst. Im Gespräch mit den Nationalräten und Ständeräten konnte der Staatsrat die Position des Kantons darlegen.
Das Geschäft wurde im Parlament heiss diskutiert. Vier Sessionen lang wanderte die AP22+ zwischen Ständerat und Nationalrat hin und her, dazwischen immer wieder in die Kommission WAK.
Bei jedem Schritt hat der Kanton Freiburg seine ParlamentarierInnen über den Stand der Dinge informiert und über die für den Kanton Freiburg relevanten Punkte.
Im Juni 2023 haben Nationalrat und Ständerat die AP22+ verabschiedet. Die Freiburger Regierung war grösstenteils zufrieden mit dem Resultat. Eine leistungsfähige Freiburger Landwirtschaft war weiterhin gewährleistet.
Mit dem Verordnungspaket 2024 werden die vom Bundesparlament im Juni 2023 verabschiedeten Gesetzesbestimmungen der Agrarpolitik AP22+ nun auf Verordnungsebene umgesetzt.
Die in der Vernehmlassung präsentierten Änderungen betreffen vor allem die sozialen und wirtschaftlichen Bereiche der Landwirtschaft.
Auch erfolgreiches Agrar-Lobbying hat seine Grenzen
Die Kantone spielen beim Agrar-Lobbying eine wichtige Rolle, die im Hinblick auf ihre Vollzugsaufgabe aber durchaus noch stärker sein dürfte. Sie setzen Bundesgesetze um und wollen ideale Voraussetzungen schaffen für ihren Lebensmittelsektor.
Wie aufgezeigt, haben die Kantone verschiedene Möglichkeiten, sich einzubringen:
- Über die Landwirtschafts-direktorenkonferenz LDK
- Im Austausch zwischen Kanton und Bundesbehörden
- Durch die Aktivitäten des Sektors Aussenbeziehungen
- Im direkten Kontakt mit den ParlamentarierInnen
Das Hauptziel des Kantons Freiburg ist es, den eigenen Bundes-ParlamentarierInnen objektive Informationen darüber zu liefern, wie der Kanton von Bundesentscheiden betroffen ist.
Weil die Prozesse im Parlament kompliziert und lang sind und weil auch unzählige andere Akteure mitmischen, ist der Einfluss des Kantons-Lobbying nicht immer erfolgreich und oft nur schwer überprüfbar.
Das Agrar-Lobbying der Kantone ist jedoch wichtig, denn es trägt innerhalb unserer Demokratie zur Meinungsbildung bei und hilft, die Schweizer Agrarwirtschaft der Zukunft mitzugestalten.
Die Autoren: Urs Zaugg ist wissenschaftlicher Berater der Direktion der Institutionen und der Land- und Forstwirtschaft. Patrick Mülhauser ist Delegierter für Aussenbeziehung des Staates Freiburg.
7 Fakten zum Landwirtschaftskanton Freiburg
1. Auf rund 60 Prozent des Kantonsgebietes in Freiburg wird Landwirtschaft betrieben.
2. Während die Freiburger Bevölkerung «nur» rund 4 Prozent der Schweizer Bevölkerung ausmacht, macht die Freiburger Landwirtschaft im Vergleich 7 Prozent aus.
3. 20 Prozent der landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Schweiz werden im Kanton Freiburg verarbeitet.
4. 20 Prozent der Arbeitsplätzeim Kanton Freiburg sind im Lebensmittelsektor.
5. 2021 gab es im Kanton Freiburg 2661 Landwirtschafts-Betriebe mit total 75'000 ha Landwirtschaftlicher Nutzfläche LN.
6. Von der LN sind zwei Drittel Grünfläche und als wichtigste Ackerkulturen 13'000 ha Getreide, Kartoffeln, Zuckerrüben und Raps.
7. Auf den Freiburger Landwirtschafts-Betrieben werden folgende Nutztiere gehalten:
55'953 Kühe
76'000 anderes Rindvieh
66'000 Schweine
18'000 Schafe und Ziegen
5'000 Pferde
1,9 Mio Stück Geflügel