Muskel-Skelett-Erkrankungen, Haut- oder Lungenprobleme wie Asthma oder «Farmerlunge»: Das sind gemäss der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft BUL drei der häufigsten Berufskrankheiten bei LandwirtInnen. Dazu kommen Gehörschäden, Zoonosen (durch Tiere übertragene Krankheiten) oder Krankheiten als Folgen von Zeckenstichen.
Als Berufskrankheiten gelten Krankheiten, die bei der beruflichen Tätigkeit ausschliesslich oder vorwiegend durch schädigende Stoffe verursacht worden sind. Die Gesetzesgrundlage ist im Bundesgesetz über die Unfallversicherung UVG definiert.
Deshalb wird es im Fall einer Berufskrankheit bei Landwirten deutlich komplizierter als etwa bei jemandem, der auf dem Bau arbeitet: Die meisten LandwirtInnen sind selbständig erwerbend und somit nicht obligatorisch gegen Unfall versichert. Sie können sich jedoch freiwillig versichern und geniessen dann Versicherungsschutz gemäss UVG.
Unfallversicherungen lassen sich bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt Suva, privaten Versicherern oder öffentlichen Unfallversicherungskassen und Krankenkassen abschliessen.
Entsprechend gibt es auch keine konkrete Zahlen, wie viele LandwirtInnen an Berufskrankheiten leider, weder beim Bundesamt für Gesundheit noch bei der Suva, der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt. Denn bei der Suva obligatorisch gegen Unfall versichert sind nur ArbeitnehmerInnen.
Landwirte sind also selber dafür verantwortlich, dass sie und ihre Familienmitglieder gegen Unfälle versichert sind. Denn wird ein Leiden als Berufskrankheiten anerkannt, entsteht ein Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Die Entschädigung kann verschiedenen Formen haben, sie reicht von Taggeld-Leistungen über Renten bis zu Übergangsentschädigungen. Finanzielle Entschädigungen gibt es nur, wenn ein Versicherungsschutz nach UVG vorliegt. Wenn ein Selbständiger eine Berufskrankheit hat, aber keine UVG-Deckung, erhält er keine Leistungen.
Schmerzt das Handgelenk, kann es zur Berufskrankheit werden
Wie sieht das nun ganz konkret aus? Als fiktives Beispiel dient Landwirt Max Müller, der zweimal täglich seine Herde von 25 Kühen melkt. Müller hat als Selbständigerwerbender eine Unfallversicherung abgeschlossen. Seit einiger Zeit schmerzen ihn die Handgelenke. Schmieren und salben hat nichts genützt. Die ziehenden Schmerzen werden schlimmer, vor allem bei Druck. Müller wacht nun auch nachts auf, weil die Sehnen schmerzen, wenn die Hand nicht bewegt wird. Die Diagnose: Sehnenscheidenentzündung.
Müller müsste sich schonen und am besten die Melkarbeit abgeben. Er meldet sich nach dem Arztbesuch direkt bei seiner Unfallversicherung. Diese entscheidet, ob es sich um eine Berufskrankheit handelt und Müller eine Entschädigung bekommt.
Berufskrankheiten sind nicht nur Privatsachen, sondern haben auch eine politische Komponente. Eine 2022 eingereichte Motion von Nationalrat Christophe Clivaz (Grüne/VS) forderte, Parkinson, Non-Hodgkin-Lymphom, Myelomen und Prostatakrebs als Berufskrankheiten bei LandwirtInnen und anderen Personen anzuerkennen, die beruflich Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt sind.
Gemäss Clivaz würde mit der Anerkennung die Übernahme aller mit der Behandlung der Krankheit verbundenen medizinischen Kosten (ohne, dass Franchise und Selbstbehalt anfallen) sowie die Zahlung von Taggeldern und Invalidenrenten für die durch die Krankheit verursachte Arbeitsunfähigkeit ermöglicht.
Der Bundesrat antwortete, dass die Anliegen der Motion bereits erfüllt seien. Denn in Anhang 1 Ziffer 1 der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV; SR 832.202) findet sich die Liste der schädigenden Stoffe und in Ziffer 2 die Arbeiten sowie die arbeitsbedingten Erkrankungen – dazu gehören auch die von Clivaz erwähnten Krankheiten.
Sind sich Versicherte und Unfallversicherung bezüglich der Leistungen uneinig, rät die Suva, in einem ersten Schritt das Gespräch zu suchen. Falls es zu keiner Einigung kommt, vermittelt die neutrale Stiftung «Ombudsmann der Privatversicherung und der Suva».
Viele Beschwerden sindschwierig eindeutig zuzuweisen
Im Fall von Max Müller spricht einiges dafür, dass seine Sehnenscheidenentzündung als Berufskrankheit anerkannt wird. Andreas Martens, Geschäftsführer des Zentrums für Arbeitsmedizin, Ergonomie und Hygiene AEH, berät auch die BUL. Er sagt, dass es bei vielen Leiden schwierig nachzuweisen sei, ob diese wirklich durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden sind. Als Beispiel nennt er Rückenschmerzen, die gemäss Martens nicht als Berufskrankheiten anerkannt werden.
Um bei Max Müller zu bleiben: Quälen ihn seit Wochen Schmerzen im Kreuz, können diese von der Melkarbeit kommen – vielleicht aber auch davon, dass er in der Nacht unbequem geschlafen oder sich in der Freizeit beim Sport «verrenkt» hat.
Martens sagt, dass bei komplizierteren Fällen ein spezialisierter (Schaden-)Anwalt helfen kann, der ein Gutachten eines Arbeitsmediziners beiziehen kann. Dies ist jedoch mit Kosten und viel Aufwand verbunden.
Deshalb ist das, was die Suva auf ihrer Website rät, wohl sinnvoll: Prävention verhindert viel Leid. Im Fall von Max Müller scheint es naheliegend, dass er sich Hilfe bei Berufskollegen holt oder darauf achtet, möglichst ergonomisch zu melken.
Zahlen zu Berufskrankheiten bei Angestellten auf Landwirtschaftsbetrieben
Jedes Jahr werden gemäss Suva in der Schweiz rund 2500 berufsbedingte Krankheiten anerkannt. Berufskrankheiten sind tragisch für die Betroffenen und sie kosten viel Geld; insgesamt rund 150 Mio Franken pro Jahr.
Die Nachfrage bei BAG und Suva ergibt, dass nur rund ein Fünftel (knapp 30'000 Personen) aller in der Landwirtschaft beschäftigten Personen angestellt ist . Bei diesen liegt das Risiko für eine Berufskrankheiten (BK) über die letzten zehn Jahre im Mittel bei 62 BK pro 100 000 Vollbeschäftigten und Jahr. Das Berufskrankheitsrisiko ist mit 152 BK pro 100'000 Vollbeschäftigten und Jahr in der Gesamtheit aller Unfallversicherten deutlich höher.
Die Suva-Analyse für die Angestellten auf Landwirtschaftsbetrieben ergibt, dass zwischen 2012 und 2021 Krankheiten des Bewegungsapparats mit 40 Fällen am häufigsten waren (4 Fälle pro Jahr), gefolgt von Hautkrankheiten.
Beide umfassen jeweils etwas mehr als ein Viertel der Fälle. Vor allem die Krankheiten des Bewegungsapparates waren in früheren Jahrzehnten deutlich häufiger. Bei den Krankheiten des Bewegungsapparates ist die häufigste Diagnose «Synovitis und Tenosynovitis» (Entzündung der Gelenkinnenhaut bwz. der Sehnenscheide) mit 23 von 40 Fällen.
Bei den Hautkrankheiten ist die häufigste Diagnose die «Kontaktdermatitis» mit 28 von 39 Fällen. Auslöser für Atemwegserkrankungen können Pflanzen und ihre Bestandteile sein, sie können auch aus tierischem Ursprung sowie von Mikroorganismen/Schimmel aus konserviertem Futter kommen.