Beobachten Sie, dass sich junge Landwirte stärker engagieren?

Martin Pidoux: Das ist schwierig zu beurteilen. Mein Vater war schon als junger Landwirt engagiert. In den Dörfern hat politisches Engagement– gerade auf Gemeindeebene – Tradition. Oft sind Landwirte die Basis der Dörfer, weil sie stark verwurzelt sind. Wer täglich pendelt, hat weniger Interesse, sich für eine Gemeinde zu engagieren.

Wenn sich junge Landwirte engagieren, finde ich das sehr positiv. Das ist nicht einfach: Denn zum einen müssen sie als Politikerinnen und Politiker ja überzeugen, aber auch selbstkritisch bleiben. Das versuche ich meinen Studenten beizubringen.

Sie bilden Agronominnen und Agronomen aus – was sind die Herausforderungen, denen sich die jungen Leute stellen müssen?

Natürlich die Herausforderungen der Produktion – nachhaltig und naturnah. Der Wirtschaftsdruck bleibt hoch. Dazu kommt der Kommunikationsaspekt, die Landwirte und die Bevölkerung müssen sich näher kommen.

Müssen die jungen Landwirte ihre Höfe anders führen als ihre Eltern?

Das war schon immer so. Die Welt dreht sich und die Landwirtschaft muss sich anpassen.

Welches Wissen vermitteln Sie ihren Studierenden?

Zum einen wirklich eine wissenschaftliche Sicht auf die Agrarpolitik. An der HAFL arbeiten wir mit Modellen und objektiven Instrumenten der volkswirtschaftlichen Lehre. Wir machen keine Politik, wir analysieren die Agrarpolitik als Forschungsobjekt.

Zum Beispiel analysieren und messen wir die Auswirkungen eines Freihandels-Abkommens.

Oft ist die erste «politische» Reaktion der Studierenden eine Ablehnung. Ich will den ganzen Prozess erklären, die Hintergrund-Überlegungen aufzeigen, die wirtschaftlichen Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen abschätzen und die Argumente dafür und dagegen diskutieren. Danach, wenn die Studierenden alle Elemente kennen, können sie für sich entscheiden, ob sie ein Freihandels-Abkommen gut finden oder eben nicht. Wichtig ist für mich: Sie sollten ihre Meinung fundiert begründen können. Ich möchte die jungen Leute zum Denken anregen.

Klar, manchmal debattieren wir auch zu aktuellen Themen. Dann muss ich sagen, dass ich in diesem Moment nicht mehr Wissenschaftler bin, sondern meine Meinung vertrete.

Aktuell hat fast jeder eine Meinung zur Landwirtschaft: Merken Sie das in Ihrer Arbeit mit den Studentinnen und Studenten?

Für mich sind diese Diskussionen wichtig. Denn die Landwirtschaft gehört nicht nur den Landwirten. Mit dem Artikel 104 ist die Landwirtschaft in der Bundesverfassung verankert. Das ist eine Art Pakt zwischen Landwirtschaft und Bevölkerung.

Natürlich spielen die Landwirte eine sehr wichtige Rolle – aber jeder Schweizer und jede Schweizerin darf eine Meinung haben.

Ist denn die Bevölkerung als Arbeitgeber der Landwirte zu verstehen?

Zum Glück ist der Markt immer noch der wichtigere Teil. Aber wenn wir an die Direktzahlungen denken, die von den Steuerzahlern kommen: Diese dürfen durchaus eine Meinung haben.

Die Diskussionen sind auch eine Chance: Es braucht den Dialog und die Landwirte müssen auch über Themen reden, die unangenehm sind. Das ist aus meiner Sicht der beste Weg für eine langfristige und nachhaltige Unterstützung der Landwirtschaft.

Zum Beispiel?

Etwa über Pestizide und Produktionstechniken. Die Landwirte und Landwirtinnen müssen offen sein und die Kritik entgegennehmen. Machen sie das nicht, so gibt mit unserem demokratischen System es ein gewisses Risiko, dass extreme Volksinitiativen kommen, die nicht mehr mit der Realität verknüpft sind. Ich weiss, dass es nicht einfach ist.

Aber ich bin überzeugt, die Landwirtschaft sollte proaktiver werden, wenn es um schwierige Themen geht. 90 Prozent der Menschen in der Schweiz leben in Städten – Landwirtinnen und Landwirte müssen sich bewusst sein, dass ihre Kunden nicht in der Landwirtschaft tätig sind.

Wirkt sich das direkt auf den Alltag junger Landwirte aus?

Es gibt klare Zeichen dafür, dass die Konsumierenden lokale, qualitativ hochwertige Produkte wollen, die nachhaltig produziert werden. Das ist als Zukunftsperspektive positiv. Ich denke, man sollte der Produktion von Nahrungsmitteln ein höheres Gewicht geben. Nicht unbedingt der Menge, aber der Qualität.

Stimmt denn die Zahlungsbereitschaft?

Das ist ein Problem – die Preis-Differenz zu unseren Nachbarländern darf sicher nicht grösser werden als heute.

Wie werden die Anliegen Landwirte politisch vertreten?

In erster Linie durch den Schweizer Bauernverband. Der Verband vertritt die Anliegen der Landwirte. Der SBV gibt Empfehlungen an die Parlamentarier ab, es sind Landwirte in den Räten vertreten: Der Beruf ist bestens organisiert.

Wie sieht es bei den jungen Landwirten aus?

Die Junglandwirte-Kommissionen sind teilweise in ihren Regionen sehr aktiv, auf nationaler Ebene haben die Junglandwirte einen Sitz im Vorstand des SBV. In Frankreich etwa sind die Junglandwirte in einer eigenen Organisation tätig.

Ist das sinnvoll?

Ja, wenn eine kritische Masse an Mitgliedern erreicht ist und sich die Junglandwirte von der Dachorganisation distanzieren wollen, sicher. In der Schweiz überwiegen aber wohl die Vorteile: Sie profitieren von der Struktur und der Organisation des SBV. Zudem habe ich den SBV als Organisation mit einer hohen demokratischen Kultur erlebt. Die Parole der jungen Generation wird sicher wahrgenommen.

In welcher Partei sind besonders viele Landwirte vertreten?

Ich denke tendenziell schon in den bürgerlichen Parteien, vor allem der SVP. Landwirtschaft und unsere Ernährung betreffen alle – es gibt eigentlich in jeder Partei Menschen, die sich für die Landwirtschaft engagieren.

 

Zur Person

Martin Pidoux, 36, hat an der ETH in Zürich Agronomie studiert. Seit 2014 ist er an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen Dozent für Agrarpolitik und -märkte. Davor war er beim SBV Projektleiter für die Agrarpolitik 14–17.

Pidoux ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und lebt in Fribourg. Er ist auf einem Hof im Broye-Tal aufgewachsen.