Kurz & bündig

  • Der westlichste Bauer der Schweiz führt einen Nebenerwerbsbetrieb.
  • Frédéric Günter setzt auf extensiven Ackerbau und Reben.
  • Auf Intensivkulturen verzichtet er nach reiflicher Überlegung.
  • In der Grenzregion kommt es vermehrt zu Diebstählen.
  • Die Zukunft seines Betriebes «la ferme» ist ungewiss.

Er sei froh, dass die Grenze so verläuft, wie sie ist, sagt Landwirt Frédéric Günter (57) überzeugt. Er ist nicht neidisch auf seine Berufskollegen, die nur wenige Kilometer weiter – ennet der Rhone – in Frankreich wirtschaften.

Mit den französischen Landwirten möchte er auf keinen Fall tauschen: «Der administrative Aufwand scheint in Frankreich um ein Vielfaches grösser zu sein als bei uns.» Und: Der französische Staat sei gehörig im Verzug mit den Direktzahlungen.

Das Büro ist nicht die Leidenschaft von Frédéric Günter. Hier ist er besonders froh um die Unterstützung durch seine Frau Sandrine (54). Generell ist die Aufgabenteilung auf dem Betrieb von Familie Günter klassisch: Frédéric kümmert sich um den Ackerbau und die Reben.

«la ferme» von Frédéric Günter hat seit 1999 keine Nutztiere mehr

Sandrine arbeitet im Haushalt und betreut die Kleintiere auf dem Betrieb: Zwergziegen weiden die steile Wiese vor dem Hof ab («Das ist einfacher und ökologischer als ein Rasenmäher»), Hühner legen gut geschützt gegen Fuchs und Raubvogel ihre Eier, die Katzen halten die Mäuse in Schach – und die vier Hunde geben lautstark an, sobald sich ein Fremder dem abgelegenen Betrieb nähert.

Nutztiere halten Günters keine mehr. «Mein Vater hat 1999 seine Kühe verkauft. Wir hatten aber immer nur rund 7 Kühe plus einige Schweine zur Selbstversorgung», erinnert sich der Betriebsleiter. Den alten Stall im traditionellen Genfer Stil haben Günters stilvoll in Wohnraum umgebaut. Heute lebt Frédéric mit seiner Frau Sandrine in einer Wohnung. Im gleichen Haus, jedoch räumlich getrennt, sind ebenfalls der Vater von Frédéric sowie sein lediger Bruder zu Hause.

25 Hektaren Fläche ist für die Region am Genfersee klein

Mit 25 Hektaren Fläche entspricht der Betrieb der Familie Günter fast auf den Quadratmeter genau dem Durchschnitt der 465 Genfer Bauernhöfe.

Günter setzt im Ackerbau auf Raps, Weizen, Gerste, Soja und Erbsen. Alle Kulturen ausser dem Raps baut er im Extenso-Verfahren an. «Bei uns geht oft ein Wind, welcher die Kulturen abtrocknet und dabei hilft, die Pilze in Schach zu halten», erklärt Günter.

Einzig im Raps funktioniere der Extenso-Anbau aufgrund des Schädlingsdruckes nicht, diesen kultiviert er intensiv mit Pflanzenschutz. Die Erträge liegen bei Weizen und Gerste bei 50 bis 60 dt/ha und im Raps bei rund 30 dt/ha.

Mais wird in der Region wegen der Sommertrockenheit kaum angebaut. «Wir müssten bewässern, um anständige Erträge zu erzielen», weiss Günter. Auch Kartoffeln werden in Chancy kaum angebaut, die Böden sind sehr leicht und steinig und die Bewässerung eine Herausforderung, wenn die Flächen nicht direkt an der Rhone liegen.

Die Wirtschaftlichkeit der Reben nimmt laufend ab

Ein wichtiger Betriebszweig und gleichzeitig eine Passion von Frédéric Günter sind die Reben. Auf einer Fläche von 3 Hektaren kultiviert Günter zwei Sorten weisse Trauben (Chasselas und Chardonnay) und vier Sorten rote Trauben (Gamay, Pinot Noir, Gamaret, Syrah).

Er hat den Anbau so weit als möglich mechanisiert – teilweise auch die Ernte, das Entlauben und den Pflanzenschutz. Es fällt aber immer noch viel Handarbeit an: Von April bis Juli sei er sehr häufig in den Reben anzutreffen, erzählt Günter.

Die Wirtschaftlichkeit der Kultur nehme leider laufend ab, die Preise sind enorm unter Druck. «Wenn man keine Freude an den Reben hat, sollte man unbedingt die Finger davon lassen», mahnt Günter. Die hat er, genau wie sein Vater.

Frédéric Günter bewirtschaftet den Betrieb mittlerweile in dritter Generation, und Reben haben immer zum Betrieb gehört. Die geernteten Trauben verkauft Günter an die Genossenschaft Cave de Genêve, die daraus Rotwein, Weisswein und Rosé herstellt.

Die Zukunft des Betriebes ist ungewiss

Ob auf dem Betrieb der Familie dereinst noch eine vierte Generation wirtschaftet, ist ungewiss. Sohn Steve (19) hat zwar wie sein Vater eine Ausbildung als Gärtner – die früher übrigens zum Übernehmen eines landwirtschaftlichen Gewerbes ausreichte – und ist aktuell daran, einen Bachelor als Agronom an der Hochschule für Landschaft, Technik und Architektur HEPIA in Genf zu machen.

Vater Frédéric vermutet, dass es seinen Sohn eher in die Forschung als zurück auf den Betrieb ziehe: «Alleine vom Betrieb könnte er ja auch nicht leben.»

Frédéric und Sandrine wissen, dass sie niemanden zur Betriebsübernahme zwingen können. Für sie beide ist aber klar, dass sie auf dem Betrieb alt werden möchten. «Uns gefällt es einfach sehr gut hier. Das ist unser zu Hause», sagt Sandrine, die in Onex und somit einer kleinen Stadt aufgewachsen ist. Kennengelernt haben sich die beiden, als Sandrine ein Praktikum beim damaligen Bürgermeister der Gemeinde absolvierte. Sie fühlte sich vom ersten Tag an wohl auf dem Betrieb in Chancy.

«Wir sprechen nicht gross über die Zukunft», gesteht Frédéric Günter. Es komme sowieso, wie es komme. Und doch ist es spürbar, dass es ihn freuen würde, wenn die Geschichte des westlichsten Bauernhofes der Schweiz weitergehen würde.

Den Betrieb zu verkaufen ist jedenfalls aktuell für Frédéric und Sandrine keine Option. «Wenn ich mit 65 Jahren noch gesund und motiviert bin, wäre es möglich, den Betrieb eine Weile als Generationengemeinschaft mit meinem Sohn weiterzuführen», sinniert Günter.

Zum Maschinenpark gehören zwei Mähdrescher Jg. 1967

Der Maschinenpark von Landwirt Günter funktioniert, ist aber etwas in die Jahre gekommen. Der neueste Traktor hat Jahrgang 1998, und sogar ein Mähdrescher mit Jahrgang 1967 steht im Schopf.

«Mit diesem alten Mähdrescher ernte ich nur noch kleine Parzellen und solche, welche für die grossen Geschütze der Lohnunternehmer schlecht zugänglich sind», lacht Günter.

Maschinen sind für ihn Gebrauchsgegenstände. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Frédéric Günter hat noch einen zweiten Mähdrescher vom gleichen Typ, der ihm als Ersatzteillager für den anderen Drescher dient.

Nebenerwerb im 50 Prozent Pensum auf der Gemeinde

Neben dem Betrieb arbeitet der Landwirt in einem 50-Prozent Pensum bei der Gemeinde Chancy. Dort ist sein Aufgabenbereich vielseitig: Als Landschaftsgärtner unterhält er die öffentlichen Bepflanzungen, pflegt Strassen, macht Winterdienst oder sorgt für den Fuhrpark. Sandrine hingegen hat nie auswärts gearbeitet.

Es hätte auch anders kommen können. Nach seiner «Horticulture»-Ausbildung liebäugelte Günter damit, Blumen, Zierpflanzen oder Pfirsiche anzubauen. Er hat eine kleine Studie dazu gemacht, gerechnet, abgewogen – und es am Ende dann doch bleiben lassen. «Ich bin in der Komfortzone geblieben», gesteht er. Bereut hat er das aber nie. «Es ist das eine, ein Produkt in guter Qualität anzubauen. Etwas ganz anderes ist es, sich dafür einen entsprechenden Markt aufzubauen.» Eine Herkulesaufgabe, die er nicht in Angriff nehmen wollte.

So hat er stattdessen einen Nebenjob bei der Gemeinde, dank dem er weiss, dass er der westlichste Landwirt der Schweiz ist: Vor Jahren organisierte der Gemeinderat einen Austausch mit der östlichsten Gemeinde der Schweiz in der Val Müstair.

Als Gemeindeangestellter war Günter damals auch involviert. Von 1995 bis ins Jahr 2000 habe der Kontakt bestanden. Der Familie Ruinatscha, die wir im Januar-Heft 2020 porträtierten, ist er aber nie begegnet.

Begegnungen sind auf dem Betrieb der Familie Günter auch eher selten. Unweit der Metropole Genf und nahe der französischen Grenze gelegen, ist der Betrieb dennoch ziemlich abgeschieden.

An der Grenze muss man sich vor Dieben in Acht nehmen

Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Vor einiger Zeit haben Diebstähle in der Region massiv zugenommen, auch auf Landwirtschaftsbetrieben.

«Dem Nachbarn wurde ein neuer Traktor geklaut», erinnert sich Günter. Seither ist er vorsichtiger: Die Schlüssel lässt er bei den Traktoren nicht mehr stecken, das Werkzeug wird verräumt, die Türen abgeschlossen und die Hunde sollen abschreckend wirken. Der Traktor des Nachbarn tauchte später irgendwo in Rumänien wieder auf. Er kam aber nie mehr zurück an den Genfersee.

Die Polizei hat in der Region zu ungewöhnlichen Mitteln gegriffen: 2018 wurde eine berittene Patrouille eingeführt. Zwei Polizisten auf Pferden markierten Präsenz auf dem Land. Ausgebildet wurden Sie von der belgischen Polizei. Das Experiment wurde aber nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Heute kurvt die Polizei wieder auf vier Rädern durch die Gegend. Dies jedoch auch nicht ganz alltäglich, sondern in einem Smart mit Polizeifarben.

 

Betriebsspiegel «la ferme»

Frédéric und Sandrine Günter, Chancy GE

LN:25 ha

Kulturen: Winterweizen, Wintergerste, Raps, Soja, Erbsen, Grünland

Weitere Betriebszweige:Weinbau

Arbeitskräfte: Betriebsleiter Frédéric Günter, saisonale Aushilfe im Weinbau

Nebenerwerb:50 Prozent bei der Gemeinde Chancy