Das Erstaunen mancher Demeter-Landwirte war gross, als sie schriftlich informiert wurden, dass fortan Produkte ihres Labels bei den Grossverteilern erhältlich sein sollen. Was im Jahr 2016 als Pilotprojekt mit Demeter-Milch gestartet hat, hat sich 2018 etabliert: Demeter-Produkte sind bei der Genossenschaft Migros Zürich und Coop erhältlich. Die Lizenz-Einnahmen des Verbandes zeigen, dass der Absatz erfreulich ist. Vor allem Milch, Wein, Babynahrung und Eier sind beliebt.
«Ist der Gang zum Grossverteiler richtig?», fragen Demeter-Produzenten
Nicht überall löst dieser Schritt Euphorie aus. Vor allem die Produzenten sind gespalten, ob der Gang zum Grossverteiler der richtige Schritt war. Kritisch eingestellt ist etwa Matthias Hünerfauth aus Meisterschwanden AG. Er produziert auf seinem Betrieb, der seit 1951 nach Demeter-Richtlinien bewirtschaftet wird, Gemüse, Kalbfleisch, Obst und Ackerfrüchte.
Für die Vermarktung braucht er keine Grossverteiler: Seine Kanäle sind die direkte Lieferung an Privatkunden, kleine Läden, Kantinen oder Marktfahrer und der eigene Hofladen.
Für ihn passt die Demeter-Philosophie nicht mit jener der Grossverteiler zusammen. «Der Gedanke, dass eine Demeter-Kuh zum Schlachten nach Gossau SG gebracht wird und dann im Migros-Kühlregal landet, befremdet mich», so Hünerfauth. Als Demeter-Landwirt habe er eine Beziehung zu seinen Tieren, und zwar von der Geburt des Kalbs bis zum Tod durch Bolzenschuss.
Ein weiteres Problem sieht er in den Normierungen der Grossverteiler. «Demeter-Produkte sind nicht darauf ausgelegt, Standards wie Grösse, Farbe oder Gewicht zu erfüllen. Sie haben eine innere Qualität.» Damit meint Hünerfauth die Betriebs-Philosophie als Ganzes, das bäuerliche Handwerk anstelle der Industriealisierung der Landwirtschaft.
Aline Haldemann, seit Beginn des Jahres Co-Geschäftsführerin von Demeter Schweiz, verteidigt den strategischen Entscheid. «Unsere Umfragen haben gezeigt, dass viele Demeter-Produkte nicht als solche verkauft werden konnten. Direktvermarktung und Fachhandel sind an natürliche Grenzen gestossen.» Somit war es schwierig, beispielsweise neue Produkte zu lancieren: Das Risiko für die kleinen Partner war jeweils sehr gross.
Demeter will die Kraft des Grossverteiler-Marktes nutzen
Befürchtet wird unter anderem eine Verwässerung der Richtlinien aufgrund des Diktats der Grossverteiler, weiss Haldemann.
Hier gibt sie jedoch Entwarnung: «Richtlinien werden höchstens verschärft. Unser Gut ist die Demeter-Qualität. Diese zu schwächen wäre überhaupt nicht zielführend. Die Zusammenarbeit mit den Grossverteilern gestalten wir so, dass wir auch Projekte wie ‹Hahn im Glück› fördern können.»
Neu müssen somit alle Eier-Produzenten die gleiche Anzahl Hähne der gleichen Rasse mästen, damit die männlichen Küken nicht als Abfallprodukte behandelt werden.
Haldemann möchte die Kraft des Handels nutzen, um weitere innovative Projekte zu fördern. Sie baut dabei
auf innovative Projekte der Landwirte. Haldemann denkt dabei beispielsweise an Zweinutzungs-Rassen in der Milchproduktion.
Landwirt Hubacher profitiert von einem besseren Milchpreis
Ein langjähriger Demeter-Landwirt, welcher die Vermarktung über die Grossverteiler befürwortet, ist Jürg Hubacher aus Lengwil TG. Für den Milchproduzenten bedeutet der Marktzugang konkret 30 00 Franken Mehrertrag dank des besseren Milchpreises.
Hubacher, der ebenfalls Gemüse für die Grossverteiler produziert, ist es aber vor allem auch ein Anliegen, dass Demeter-Produkte allen Konsumenten zugänglich sind. «Manche Leute haben keine Zeit für Einkäufe am Wochenmarkt oder in einem Hofladen», weiss der Landwirt.
Er sieht in den Grossverteilern keine direkte Konkurrenz zu den Marktfahrern, da sich es sich um einen anderen Typ Kundschaft handle.
Bio-Bauern haben Bedenken, ob Demeter richtig handelt
Konkurriert werden dafür andere Label-Produkte in den Regalen der orangen Riesen. Das führt dazu, dass auch Bio-Bauern Bedenken haben. So fragt sich etwa Bio-Landwirt Christian Meier aus Kleinwangen LU, wie denn der Konsument im Laden entscheiden soll, ob er nun ein Bio- oder ein Demeter-Produkt möchte. Er fürchtet, dass bisherige Bio-Konsumenten neu zu Demeter-Produkten greifen und somit in erster Linie den Bio-Markt konkurrieren.
Direktvermarkter Meier erinnert sich, dass die Bio-Bauern 1994 in einer ähnlichen Situation waren. «Vorher musste zu mir kommen, wer im Seetal einen Bio-Apfel wollte. Fortan war das nicht mehr nötig», so Meier. Während Demeter mit Migros und Coop zusammenarbeitet, laufen bei Bio Suisse Gespräche über einen Absatz via Aldi und Lidl (siehe Kasten).
Wie will sich Demeter gegenüber Bio positionieren?
Der Label-Salat wird im Grossverteiler nun mit Demeter um ein weiteres Teilchen erweitert. Kann man sich denn beispielsweise gegenüber Bio noch profilieren? Haldemann sieht das so: «Wir haben klare Botschaften wie zum Beispiel: Keine Enthornung, Hahn im Glück, Hof-Kreisläufe und keine Homogenisierung.»
Und genau für diese Mehrwerte möchte sie nun, dass die Produzenten auch am Markt dafür bezahlt werden. Der fehlende Absatz habe Produzenten vor einer Umstellung abgeschreckt. «Manche Landwirte bestellten unsere Umstell-Informationen, verzichteten aber auf eine Betriebsumstellung, weil sie keinen Absatz gesehen haben.»
Dank Migros und Coop können vermehrt neue Landwirte der Schritt der Umstellung machen und die Marke weiter stärken, so der Wunsch von Haldemann. In Deutschland besteht seit Längerem eine Zusammenarbeit zwischen Demeter und unterschiedlicher Grossverteiler.
Demeter will die Gesellschaft aktiv mitgestalten
Demeter ist heute immer noch eine Nische. Knapp 40 Prozent der Konsumenten kennen das Label, welches 315 Produzenten umfasst. Haldemann möchte offen auf die Leute zugehen und Demeter dorthin bringen, wo auch die Konsumenten sind. «Wir haben heute eine neue Generation Demeter-Landwirte. Wir möchten die Gesellschaft aktiv mitgestalten», erklärt Haldemann.
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Landwirt Hünerfauth würde es bevorzugen, wenn diese Mitgestaltung individuell und ohne Grossverteiler erfolgen würde. Er befürchtet, dass mit dem Einstieg der Grossverteiler das Label die Glaubwürdigkeit verliert, welches er und seine Vorgänger seit gut 80 Jahren aufgebaut haben.
Die Neumitglieder brauchen intensiven Austausch
Landwirt Matthias Hünerfauth ist Realist: «Nun geht es darum, mit diesem Entscheid bestmöglich zu leben.» Für ihn ist vor allem wichtig, dass kein Aufwand gescheut wird, um den Demeter-Spirit den Neueinsteigern zu vermitteln und nicht von marktwirtschaftlichen Interessen überrollt zu werden.
«Dazu braucht es einen intensiven Austausch und eine aktive Begleitung der Neu-Umsteller», ist Hünerfauth überzeugt.
Co-Geschäftsführerin Aline Haldemann freut sich auf die neuen Mitglieder. Sie ist zuversichtlich, dass der Spirit erhalten bleibt. «Demeter-Produktion ist zu anspruchsvoll und umfassend, als dass man das einfach des Geldes wegen machen würde», ist sie überzeugt. Und gibt gleichzeitig zu bedenken, dass die selbstständigen Landwirte da auch hineinwachsen können.
Demeter darf sich dem Fortschritt nicht verschliessen
An Gesprächsstoff dürfte es dem Demeter-Verein auch in Zukunft nicht mangeln. Nebst marktwirtschaftlichen Fragen gilt es auch Stellung zu nehmen, inwiefern moderne Smart Farming-Technologien zum Demeter-Landbau passen. Bereits heute gibt es Weinproduzenten, welche Hornpräparate mit der Drohne ausbringen.
Für Haldemann ist es wichtig, dass man sich dem Fortschritt nicht verschliesst. Im Fokus steht für sie, dass parallel zur Menge auch die Qualität ausgebaut werden soll. «Ich denke da an Hofschlachtungen, konsequenten Einsatz von Bio-Sorten, den Ersatz von Kupfer oder den Einsatz von Zweinutzungs-Rassen im Geflügelbereich», so Haldemanns Vision.
Kurz & bündig
- Demeter-Produkte haben sich bei Migros und Coop etabliert.
- Der Verband will mindestens 80 Prozent der Demeter-Produkte ohne Deklassierung vermarkten können.
- Das Demeter-Label soll für alle Konsumenten zugänglich sein.
- Die Demeter-Produzenten sind gegenüber dieser Strategie teilweise skeptisch.
- Der Handel soll dabei helfen, innovative Projekte weiterzuentwickeln.