In der Landwirtschaft ist der Wolf mittlerweile ein Dauerthema – und das nicht ohne Grund. Die Population des grauen Grossraubtiers hat in den letzten Jahren stetig zugenommen:

  • 2021: 20 Rudel mit 150 Wölfen
  • 2022: 26 Rudel mit 250 Wölfen
  • 2023: etwa gleich grosse Population

2022 rissen die Wölfe 1'569 Nutztiere und auch im Sommer 2023 machten Riss-Meldungen Schlagzeilen. Hat der Herdenschutz versagt?

Davon könne keine Rede sein, sagt Roger Bisig, Generalsekretär der Konferenz der kantonalen Landwirtschaftsdirektoren LDK. Auch der Bericht der Agridea zeigt den Nutzen des Herdenschutzes auf. «Die Frage ist, ob auf einem konkreten Betrieb so umfangreiche Herdenschutzmassnahmen umgesetzt werden können, dass sie auch effektiv nützen», sagt Bisig.

Herdenschutz bedeute Arbeit und Präsenz. Das erfordere Personal, das nicht immer in genügendem Masse vorhanden sei. «Auch auf den Alpen gibt es den Fachkräftemangel», so Bisig.

Bürokratische Hürden für Riss-Entschädigung senken

Die LDK setzt sich für die Zusammenarbeit zwischen den Kantonen ein und vertritt diese gegenüber dem Bund in Sachen Landwirtschaft. Bei der Wolfsthematik kommt den Kantonen eine grosse Bedeutung zu: Sie stellen Anträge zum Wolfsabschuss an das Bundesamt für Umwelt BAFU, finanzieren einen Teil der Herdenschutzmassnahmen, fördern dessen Umsetzung tatkräftig und richten die Entschädigungen aus.

«Die Kantone müssen alles unter einen Hut bringen: Förderung von Land-, Alp- und Waldwirtschaft, Landschaftspflege, Tourismus, Arten- und Biotopschutz, Jagd sowie Prävention gegen und die Abwehr von Naturgefahren», zählt Bisig auf.

Die LDK forderte bereits bei der Teilrevision der aktuell gültigen Verordnung über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel JSV, dass die bürokratischen Hürden gesenkt werden, die nötig sind, um nach einem Riss entschädigt zu werden.

Die Forderung wiederholt sie im Hinblick auf die Anpassung der JSV auf die 2022 beschlossenen Revision des Jagdgesetzes: «Die Entschädigung sollte fliessen, wenn der Tierhalter die TVD-Ohrmarke vorlegt und sein Betrieb über ein Herdenschutz-Konzept verfügt. Diese Art der Schadensregulierung beinhaltet eine gewisse Unschärfe. Aber die genauere Version kennen wir ja: Bis zu drei «Experten» vor Ort, DNA-Analysen und ganze Stapel von Formularen. Das ist nichts für die Praxis», erklärt Bisig.

Konkrete Begebenheiten der Weiden berücksichtigen

Dem von Bisig erwähnten Herdenschutz-Konzept liegt eine Gefahren- und Risikoanalyse zugrunde. «Bei diesen Überlegungen müssen die Möglichkeiten des eigenen Betriebs sowie die Gegebenheiten der konkreten Weiden zwingend mitberücksichtigt werden. Herdenschutz muss für den Tierhalter machbar und zahlbar bleiben», betont Bisig. Das hängt auch stark von den örtlichen Verhältnissen ab, welche den Herdenschutz erschweren können.

«Grundsätzlich sorgt sich jeder Tierhalter um das Wohl seiner Tiere. Ergreift er deshalb Herdenschutzmassnahmen, obschon die Fachleute in seinem konkreten Fall deren Wirkung nur als beschränkt einschätzen, ist er in seinem Handeln von Bund und Kanton trotzdem zu unterstützen. Das ist eine Frage der Ethik», fordert er.

Der Herdenschutz, Entschädigung von Rissen und die Bestandesregulierung des Wolfs bilden eine Einheit. Das eine ohne das andere genüge nicht. Der Wolfsbestand soll reguliert werden, indem Jungtiere abgeschöpft werden, sagt Bisig.

Entschädigungen besänftigen den Ärger

Bleibt die Frage der Finanzierung. Denn im Sommer 2023 war der Kredit von 4 Millionen Franken für Sofortmassnahmen bereits anfangs Juli aufgebraucht, wie etwa die BauernZeitung berichtete. Bisig schlägt vor: Die Kosten der Bestandesregulierung, der Herdenschutzmassnahmen und deren Umsetzung sowie der Entschädigungen sollen aus dem Budget des Natur- und Artenschutzes sowie der Jagdkasse bezahlt werden.

«Die Herdenschutzmassnahmen sollen ein Nebeneinander von Schutz und Nutzung, Grossraubtieren und Land- und Alpwirtschaft ermöglichen. Die Entschädigungen besänftigen dabei auch den Ärger der Tierhalter», sagt Bisig.

Die LDK ist eine von vielen Stimmen, die sich zum Thema Wolf einbringen. Wie sie gehört werden und welchen Einfluss sie auf die Revision des Jagdgesetzes nehmen, wird sich zeigen, sobald der Bundesrat diesen Herbst die ausgearbeitete Revision des Jagdgesetzes vorlegt.

Jagdverordnung JSV und Jagdgesetz JSG
Laut der aktuell geltenden Verordnung über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel JSV ist neu der Abschuss von Einzelwölfen (nicht zu einem Rudel gehörende Tiere) auch innerhalb von Rudel-Territorien möglich. Dabei wurde die Schadenschwelle von 10 auf 6 Nutztier-Risse gesenkt. Auch bei der Regulierung von Rudeln wurde die Schadenschwelle gesenkt. Bei 8 Nutztier-Rissen statt bisher 10 Rissen können die Kantone beim Bundesamt für Umwelt BAFU die Regulierungsabschüsse beantragen.

Die Jagdverordnung, die seit dem 1. Juli 2023 gilt, ist eine Übergangslösung für den Alpsommer 2023. Denn noch muss der Bundesrat ausarbeiten, wie die Ende 2022 vom Parlament beschlossene Revision des Jagdgesetzes JSG dereinst umgesetzt werden soll.Was die Revision vorsieht: Künftig sollen Wölfe vom 1. September bis 31. Januar präventiv reguliert werde dürfen – also noch bevor die Schadensschwelle an Rissen überschritten wurde. Abschüsse sollen Schäden und Gefährdungen verhindern, dürfen aber die Wolfspopulation nicht gefährden.

Voraussetzung für Abschüsse ist auch, dass Herdenschutz mit zumutbaren Massnahmen nicht möglich gewesen ist.