Nach dem 13. Juni 2021 wird die Schweizer Landwirtschaft eine andere sein. Auch nach der wuchtigen Ablehnung der beiden extremen Agrar-Initiativen.

Bei einer Annahme der Trinkwasser-Initiative und Pestizid-Initiative wären wohl viele Betriebe aus dem Ökologischen Leistungsnachweis ÖLN ausgestiegen.

Damit hätten die beiden Initiativen dem Minimalstandard für eine umweltgerechte Landwirtschaft in der Schweiz sprichwörtlich das Wasser abgegraben. Denn der ÖLN definiert die Grundanforderungen für Direktzahlungen und wichtige Labels.

Die Journalistin Bettina Dyttrich hatte zwei Landwirte im April 2021 gefragt, was  diese bei einer Annahme der Agrar-Initiativen tun würden. Und deren Antwort war klar: «Vollgas ohne Geld vom Staat» (in der «WochenZeitung»).

Die beiden Agrar-Initiativen wurden aber abgelehnt. Wir haben die zwei Landwirte nach dem Volks-Nein besucht und sie gefragt, wie sie nun weiter wirtschaften. Alles wie gehabt? Oder doch mit (noch) mehr Aufmerksamkeit beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln?

Der «Durchschnitts-Landwirt» Urs Bürgi im Berner Mittelland

Der Betrieb von Urs Bürgi liegt in Limpach. Der Ort liegt auf 473 m ü. M., ein paar Kilometer südwestlich von Solothurn im Berner Mittelland. Rund 70 Prozent der Gemeindefläche gehören zur Landwirtschaft, 22 Prozent sind Wälder.

 

Betriebsspiegel von Urs Bürgi

Urs Bürgi, 3317 Limpach BE

  • N: 28 ha, ÖLN und IP Suisse
  • Kulturen: 8 ha Kartoffeln, 2 ha Brotweizen herbizidfrei nach Extenso- Richtlinien, 3 ha Zuckerrüben,
    4 ha Drescherbs/Bohnen, 4 ha Mais und 4 ha Kunstwiesen.
  • Tierbestand: Den Futterbau führt zusammen mit drei Landwirten in einer Tierhaltergemeinschaft. Dazu gehört der Gemeinschaftsstall mit 72 Red Holstein Hochleistungskühen, davon ein Viertel Jungtiere.
  • Weitere Betriebszweige: 6 ha Wald
  • Arbeitskräfte: Urs Bürgi als Betriebsleiter, ein Lehrling.

«Die Direktzahlungen machen bei uns 15 Prozent des Betriebsertrages aus», erklärte Urs Bürgi gegenüber im Gespräch mit Bettina Dyttrich. Bei einer Annahme der Initiativen wäre er wohl aus dem ÖLN ausgestiegen.

Er hätte lieber auf die Direktzahlungen verzichtet, als auf Pflanzenschutzmittel. Diese brauche er als Ertrags- und Qualitätsversicherung, vor allem für die Kartoffeln.

In feuchten Jahren steige das Risiko der Kraut- und Knollenfäule. Wenn es viel regnet, kann Bürgi auch nicht hacken, weil der Boden zu nass ist. Das Unkraut wird zum Problem.

Ohne ÖLN hätte Bürgi mehr Freiheiten, erklärte er Bettina Dyttrich vor der Abstimmung: «Ich müsste die Nährstoffbilanz nicht mehr einhalten, könnte also mehr düngen, vor allem mehr Stickstoff.»

Ohne Verpflichtung zum ÖLN könne er auch die Ökoflächen und die Ackerrandstreifen wieder unter den Pflug nehmen. Er müsste weniger Abstand zu Gewässern halten und die Auswahl der erlaubten Pflanzenschutzmittel wäre grösser.

Dabei führt Urs Bürgi seinen Betrieb seit Jahren in Richtung mehr Ökologie. Er baut Extenso-Weizen herbizidfrei an, sät Blühstreifen für Bienen, legt Asthaufen und Steinhaufen an und hackt die Kartoffeln.

Er brauche heute vier Mal weniger vom Herbizid Glyphosat als noch vor vier Jahren. Wenn der Boden nicht zu nass ist, bringe er viel Unkraut mit dem Hackgerät weg.

Bürgi hat auch schon Anbaugeräte getestet, welche zum Beispiel die jungen Bohnen mit Sensoren erkennen, dort nur ein Drittel der üblichen Menge spritzen und zwischen den Reihen hacken. In den Zuckerrüben will er 2021 gar keine Mittel gegen Insekten und Pilzkrankheiten mehr einsetzen, ebenso im Weizen.

Wie geht es für Urs Bürgi weiter nach dem Nein für die Initiativen?

«Ich gehe meinen Weg weiter, den ich schon vor Jahren eingeschlagen habe», erklärt Urs Bürgi und ergänzt: «Mein Pflanzenschutz-Raum steht mittlerweile halb leer.» Auch sein Pflanzenschutzberater höre nur noch selten von Bürgi.

Der Landwirt im Berner Mittelland kann und will aber nicht vollständig auf Pflanzenschutzmittel verzichten. 2021 habe er zum Beispiel den Mais ein zweites Mal ansäen müssen, weil die erste Aussaat im Dauerregen «ertrunken» ist. Und auch für die zweite Aussaat sei es «zu nass zum Hacken, da kann ich nicht auf Fungizide und Herbizide verzichten.» Es sei eine ständige Herausforderung, die Grenzen des Möglichen abzuschätzen.

Von den Konsumenten hat Urs Bürgi auch mitten im «vergifteten» Abstimmungskampf nur positive Rückmeldungen erhalten.

Was er aber vermisst – und das schon seit Jahren – ist eine grössere Flexibilität bei den Abnehmern seiner Produkte. So werden zum Beispiel Frühkartoffeln mit kleinsten Löchern vom Drahtwurm oft zurückgewiesen, während der gleiche Abnehmer in der TV-Werbung den Konsumenten eine heile Welt zeige.

«Aber ich kann und will nicht zurück in diese heile Welt, die auch gar nicht so heil war», erklärt Bürgi. Er setzt künftig auf resistentere Sorten, neue Technologien und auch Gentech.

Der Gemüse-Produzent Thomas Wyssa im Grossen Moos

Wir wechseln zum Betrieb der Familie Wyssa in Galmiz FR. Die Gemeinde liegt auf 441 m ü. M. zwischen Murtensee und Kerzers. Hier im Grossen Moos ist eines der grössten Gemüse-Anbaugebiete der Schweiz. 71 Prozent der Gemeindefläche gehören zur Landwirtschaft, 20 Prozent sind Wälder.

 

Betriebsspiegel von Wyssa Gemüse

Thomas, Christine und Christoph Wyssa, 3285 Galmiz FR

  • LN: 22 ha ÖLN, SwissGAP, Suisse Garantie.
  • Kulturen: Rund 35 Gemüse-Sorten mit einer Belegung von drei Kulturen pro Jahr.
    20 ha Freiland
    2,8 ha gedeckte Fläche (1 ha Hochtunnel und 1,8 ha Glashaus)
    1,4 ha ökologische Ausgleichsflächen
  • Arbeitskräfte: Thomas, Christine und Christoph Wyssa, 35 Angestellte und drei Lehrlinge. In der Hochsaison bis 70 Angestellte.

www.wyssa-gemuese.ch

 

Thomas Wyssa baut auf 22 Hektar Gemüse an. 35 Salat- und Gemüse-Sorten mit einer Belegung von drei Kulturen pro Jahr: Salat, Lauch, Stangensellerie, Fenchel, Gurken, Schwarzwurzeln und Pak Choi. 75 Prozent davon nimmt Lidl ab, sagt Wyssa.

«Die Direktzahlungen machen bei uns nur 1 Prozent des Betriebsertrages aus.» Bei einer Annahme der Initiativen würde er deshalb aus dem ÖLN aussteigen, sagte er Bettina Dyttrich vor der Abstimmung. Auf den ungedüngten Blumenwiesen, die heute 5 Prozent der Fläche ausmachen, hätte er wieder Gemüse angebaut, «weil wir nicht zu 100 Prozent auf Pflanzenschutzmittel verzichten können.»

Wie geht es für Thomas Wyssa weiter nach dem Nein?

«Wir werden weiterhin soviel Pflanzenschutzmittel wie nötig einsetzen, aber so wenig wie möglich», erklärt Gemüsebauer Thomas Wyssa nach dem Abstimmungs-Sonntag. Er setzt auf eine noch bessere Feldkontrolle und in Zukunft auf die Robotik.

«Künftig werden auf unserem Betrieb wohl autonome Jät-Roboter fahren», glaubt Thomas Wyssa. Und er ist überzeugt, dass mit der Agroscope-Versuchsstation Gemüsebau in Ins BE neue resistente Sorten entwickelt werden können, die zumindest einen Teil der Pflanzenschutzmittel überflüssig machen werden.

Da Wyssa direkt an die grossen Abnehmer liefert, hat er relativ wenig direkten Kontakt zu den Konsumenten. Wenn er mit der Spritze aufs Feld gefahren sei, habe schon mal der eine oder andere überholende Autofahrer die Faust gezeigt. Aber in Gesprächen in seinem persönlichen Umfeld konnte Wyssa erklären, warum es ganz ohne Pflanzenschutzmittel nicht geht. «Und dann waren die Reaktionen eigentlich immer positiv.»

Wie seinen Berner Kollegen Bürgi stört Thomas Wyssa, dass Abnehmer Produkte von bester Qualität zurückweisen, nur weil sie kleinste optische Schäden haben. «Ich habe gerade eine ganze Ladung Radieschen zurück bekommen, nur weil das Laub kleinste Fressschäden von den Erdflöhen hat.»

Er würde ja seine Radieschen auch im Gewächshaus oder im Tunnel anbauen – dann liessen sich solche Schäden ohne Insektizide vermeiden – aber für eine Baubewilligung dafür würde er lange kämpfen müssen. «Es ist manchmal schon zum verrückt werden!»