Kurz & bündig
- Hirschhaltung ist ein arbeitsextensiver Betriebszweig.
- Die höchste Arbeitsspitze ist im Herbst, während der Abschuss- und Vermarktungszeit.
- Bei Martin Schurter schiessen die Jäger an jedem der drei Abschuss-Termine jeweils zwölf Tiere.
- Das Fleisch der zwölf Tiere geht an einem Verkaufsabend frisch über die Hofladen-Theke.
Es ist 17.30 Uhr und Landwirt Martin Schurter kommt gerade von seiner Arbeit als Chauffeur nach Hause auf den Hof in Ossingen. Er geht in das Wild-Gehege, mit dabei ein Futtersack gefüllt mit trockenem Brot. Mit mehreren schwingenden Bewegungen verteilt er es in der näheren Umgebung. Kurz darauf steht Rosalie neben Schurter. Die zehnjährige Hirschkuh ist handzahm. Es dauert nicht lange und der Rest der Herde macht sich über das Brot her. Die Familie Schurter hält seit 2005 Damhirsche. Zudem ist Martin Schurter Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Hirschhalter SVH.
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Schurter fährt eine eher extensive Strategie
Schurter hält die Damhirsche auf drei Koppeln mit total 5,5 Hektaren. Üppig ist das Futterangebot auf den Weiden nicht, denn Schurter nutzt sie ausschliesslich als Weide ohne Schnittnutzung. «Das ist arbeitstechnisch eher eine Extensiv-Strategie», sagt Schurter.
Bei zu wenig Futterangebot auf den Weideflächen muss der Landwirt sofort zufüttern. Das kann bei wenig Niederschlag und wegen der kiesigen Böden schon im Juli sein. Das zusätzliche Futter besteht aus Emd, Grassilage, Maissilage, Graswürfel und Energieträgern wie Zuckerrübenschnitzel oder Trester. Als «Zückerli» für zwischendurch gibt’s Kastanien. «Das lieben sie», sagt Schurter, «so wie alles, was an den Bäumen wächst.»
«Diese Tage sind die Hirsche etwas zurückhaltender gegenüber Menschen als normal», erzählt Schurter. Grund dafür ist die jährlich wiederkehrende Abschuss-Zeit. Beim Besuch von «die grüne» ist es erst drei Tage her, dass die Jäger zwölf Spiesser und Schmaltiere aus der Herde schossen.
Die Hirsche sind zum Zeitpunkt des Abschusses im September/Oktober 2020 ca. 15 Monate alt. Sie wurden im Juni/Juli 2019 gesetzt. Über den Sommer ist der Tierbestand mit 140 Tieren jeweils am grössten, da die neuen Hirschkälber da sind und die einjährigen erst im Herbst geschossen werden. Über Winter sind es etwa 100 Tiere – die adulten Tiere und ihre Kälber sowie einige Zuchtstiere. «Würde man die Tiere auf Weiden mit einem reichhaltigeren Futterbestand halten, wären sie beim Abschuss etwas schwerer», sagt Schurter. Das würde aber eine kombinierte Schnitt-/ Weidenutzung erfordern.
Der Schlachtkörper besteht bei den Hirschen aus einem Tier ohne Decke (Fell), ohne Läufe, ohne Haupt, ohne Innereien. Die Schlachtkörper haben ein Gewicht von 30 bis 35 kg bei den männlichen und 20 bis 25 kg bei den weiblichen Hirschen. «Im Durchschnitt ergibt das 20 Kilo pfannenfertiges Fleisch pro Tier», sagt Schurter.
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Drei Abschüsse à 3 Stunden – drei Verkaufsabende à 3 Stunden
Die meisten der 40 bis 45 einjährigen Tiere kommen im September/Oktober weg. Einige Tiere verkauft Schurter lebend an neue Hirschhalter oder auch mal einen Hirsch-Stier zur Blutauffrischung in andere Herden.
Alle anderen werden geschossen. «Für uns bewähren sich pro Saison drei Abschuss-Daten», erklärt Schurter. Die Weiden sind gross, deshalb engagiert Schurter gleich drei Jäger aufs Mal. «Die Hirsche bleiben dicht zusammen», erklärt Schurter, «sobald die richtigen Tiere am Rand der Herde stehen, werden sie von einem der Jäger mittels Schuss ins Haupt getötet.»
Für Schurters hat sich der Abschuss von zwölf Tieren pro Mal bewährt. Bis sie am Haken hängen, dauert es drei Stunden. Die Verarbeitung und Portionierung erfolgen über eine regionale Metzgerei. Den Verkauf machen Schurters selber. Das frische Fleisch von einem Abschuss, also von zwölf Tieren, geht an einem jeweils dreistündigen Verkaufsabend auf dem Hof über die Theke. Die bestehenden Kunden schreibt Schurter einige Wochen vor dem Abschuss an. Viele Kunden machen eine Reservation für einzelne Stücke, andere kommen spontan vorbei.
Schurters Eltern haben schon vor 30 Jahren Fleisch von Rindern direktvermarktet. Diesen Betriebszweig führte Martin Schurter bis ins Jahr 2019 weiter und stellte dann komplett auf Damhirsche um. «Vom grossen Kundenstamm aus dem Rindfleisch-Verkauf konnten wir profitieren», erklärt Schurter. Doch auch bei einem grossen Kundenstamm braucht es ein Minimum an Werbung. Schurter macht über Social Media (Whatsapp, Instagram und Facebook) auf die Verkäufe aufmerksam. «Und klar, wir profitieren von der Nähe zur Agglomeration». Der Einzelstückverkauf ist Schurter wichtig: «Wer ein solch exklusives Fleisch kauft, soll die Stücke selber auswählen dürfen.»
Dass weniger edle Stücke übrig bleiben, liegt auf der Hand. Doch dafür haben Schurters den perfekten Absatzkanal. Sie verkaufen an drei Jahrmärkten sämtliches Voressen als Hirschpfeffer. Die Präsenz an den Jahrmärkten ist auch Werbung für den Direktverkauf. Da dieses Jahr sämtliche Märkte abgesagt wurden, werden sich Schurters etwas anderes einfallen lassen. Ein fahrendes Hirsch-Stübli für ein Pfefferessen stünde bereit.
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Der Konsument greift für etwas Spezielles tiefer in die Tasche
Für einen ganzen Schlachtkörper in der Decke empfiehlt die SVH einen Richtwert von 16 bis 20 Franken pro Kilogramm. Martin Schurter ist auch Mentor für Einsteiger in der Hirschhaltung. Er empfiehlt ihnen, im Schnitt über alle Fleischstücke 50 Franken pro Kilogramm pfannenfertiges Hirschfleisch zu verlangen. «Es ist besser, hoch anzufangen, als jedes zweite Jahr eine Preiserhöhung zu machen.» Und er weiss: Der Konsument bezahlt diesen Preis für etwas Spezielles, etwas, das nicht jeden Tag auf dem Teller landet.
Schurter ist es wichtig, dass der Hirschfleisch-Verkauf in den Händen der Produzenten bleibt. «Klar wäre es praktisch, einen Grossverteiler zu beliefern. Dieser nähme wohl alles, man muss sich nicht selber um den Verkauf kümmern.» Aber er ist überzeugt, dass es eine Frage der Zeit wäre, bis der Preis unter Druck geriete.
Wer in die Hirschhaltung einsteigen will …
«… muss die Vorgaben des Kantons erfüllen und die Hirschhalter-Ausbildung absolvieren», erklärt Schurter. Kantonal gebe es Unterschiede, wie hoch die Hürden für eine Bewilligung sind. Massgebend ist das Raumplanungsgesetz.
Er empfiehlt, vor einem solchen Projekt Kontakt mit der SVH aufzunehmen sowie das Gespräch mit der Gemeinde, den Förstern und den
Jägern zu suchen. Beim ersten Schritt kommt jemand vom kantonalen Veterinärdienst und schaut vor Ort das Gelände an. Eignet es sich für die Hirschhaltung? Wenn ja, macht man eine Baueingabe und dann entscheidet das Raumplanungsamt.
Ablehnungsgründe für ein Wildgehege auf Kantonsebene könnten folgende sein:
- Ein Wildkorridor wird zu stark beeinträchtigt.
- Das Veterinäramt stuft die Böden als nicht geeignet ein.
- Die Parzellen sind zu schmal oder verwinkelt.
Bezüglich Flächen empfiehlt die SVH einen Richtwert: Zehn adulte Tiere pro Hektare mit ihren Nachkommen (Kälber und Jährlinge). Also sind das im Sommer 30 Tiere. «Gemäss Tierschutz dürfte man mehr Tiere halten», erklärt Schurter. Aber das gehe dann doch nicht, weil die Weiden maximal fünf Prozent kahle und braune Stellen aufweisen dürfen. So wird kontrolliert, ob der Tierbestand nicht zu gross ist. Die Flächen müssen nicht in unmittelbarer Nähe des Betriebs sein, aber es vereinfache die Kontrolle der Tiere. Drei Koppeln braucht es zum Rotieren und für die Weidepausen. «Ich persönlich empfehle eine Mindestgrösse von drei Hektaren, um in die Hirschhaltung einzusteigen.» Aber je nach Betrieb (auch zum Beispiel für Zoos und Wildpärke) sei das nicht immer möglich.
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Die Investitionen sind nicht zu unterschätzen
«Als wir mit den Damhirschen anfingen, gingen wir mit den Tierzahlen (zehn Hirschkühe und ein Stier) sehr defensiv vor», sagt Schurter. Heute würde er mindestens mit der doppelten Anzahl Tieren einsteigen. Bezüglich Anfangsinvestitionen rechnet Schurter wie folgt:
- Zehn Hirschkühe und ein Stier, inkl. Betäubung, Transport kosten etwa 10'000 Franken.
- Beim Unterstand sei der Kostendeckel offen: «Vom einfachen Unterstand über einen Luxusstall gibt es alles», sagt Schurter. Seine Tiere
haben Zugang zum ehemaligen Kälberstall. - Der grösste Investitionsbrocken ist das Gehege. Hier fallen 1'000 bis 1'500 Franken pro Hektare an.
- Weitere Investitionskosten kann ein Verarbeitungsraum sein. Das lohnt sich aber nur für grössere Betriebe. «Ansonsten sucht man sich besser eine Lösung mit einem nahegelegenen Schlachtbetrieb», sagt Schurter.
- Bei der Direktvermarktung kommen zudem Kosten für einen Lagerraum mit Kühlgeräten dazu.
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Der ideale Betriebszweig zum Nebenerwerb
Die Hirschhaltung eignet sich hervorragend in Kombination mit einem Nebenerwerb. Schurter selbst arbeitet in einem 80-Prozent-Pensum bei der Transportfirma Trelag. Über das ganze Jahr verteilt rechnet Schurter mit einer halben Stunde Arbeit pro Tag. Effektiv fällt davon der grösste Teil auf die Abschuss- und Vermarktungs-Zeit im September und Oktober.
Die zweite Arbeitsspitze ist im Juni/Juli, wenn die Hirschkühe setzen. «Ab einer gewissen Herdengrösse macht es Sinn, sämtliche neugeborenen Kälber zu markieren», erklärt Schurter. So erkenne man sie beim Abschuss besser. Die tägliche Arbeit beschränkt sich also nur noch auf die Kontrolle der Tiere und des Wassers sowie das Zufüttern bei Bedarf. «Vor 30 Jahren waren meine Eltern mit dem Direktverkauf von Rindfleisch richtige Exoten», erinnert sich Schurter, «und heute wird Rindfleisch fast auf jedem zweiten Hof verkauft.»
Was die Zukunft der Hirschhaltung betrifft, ist sich Schurter sicher: «Der Hirsch wird ein Exot bleiben, schon rein wegen dem Raumplanungsgesetz.» Man könnte nie so viele Gehege aufstellen, wie die Nachfrage es erfordert. «Mir bereitet die Arbeit mit den Hirschen sehr viel Freude», sagt Schurter. Er setzt weiterhin auf die Hirschhaltung und gedenkt, seine Anlage auf 11 Hektaren zu erweitern. Das Projekt ist bewilligt.
Mittlerweile haben die Hirsche alles Brot aufgefressen und sich auf die andere Seite des Geheges begeben. «Manchmal setzte ich mich nach der Arbeit auf diese Bank und schaue den Hirschen zu», sagt Schurter, «das ist für mich ein Stück Lebensqualität.»
Betriebsspiegel Thurhof
Sandra und Martin Schurter mit Jens (18), Kimi (16) und Pia (14), Ossingen ZH
LN:22 ha
Bewirtschaftung: ÖLN
Kulturen: Weiden, Ökofläche
Tierbestand:140 Damhirsche im Sommer, 100 über den Winter
Betriebszweige:Damhirsch-Haltung mit Direktvermarktung
Arbeitskräfte: Martin und Sandra Schurter
Facebook:thurhofossingen
Instagram: martinschurter
www.thurhof.ch
Schweizerische Vereinigung der Hirschhalter:www.dgrn.ch/svh