Die Fenaco unterstützt ab 2022 brückenbauende Projekte über den Stadt-Land-Graben mit insgesamt 10 Mio Franken. Die Basis dazu bildet der erstmals erhobene Stadt-Land-Monitor 2021, den die Agrargenossenschaft Fenaco bei der Berner Forschungsstelle Sotomo von Politikwissenschaftler Michael Hermann in Auftrag gegeben hat.
Der Stadt-Land-Monitor 2021 zeigt, dass es diesen Graben zwischen den Städten und dem Land in der Schweiz genau genommen gar nicht gar nicht gibt: Die Kleinstädte und Agglomerationen bilden nämlich ein verbindendes Element –oder je nach Betrachtungsweise auch einen neutralen Puffer – zwischen den Schweizer Grossstädten (über 50'000 Einwohnern) und dem ländlichem Raum.
Ungeachtet dessen ist der politische Stadt-Land-Gegensatz in den letzten Jahren grösser geworden. Ein Gegensatz, den die Agrargenossenschaft Fenaco ab 2022 mit der Unterstützung von Projekten über den Stadt-Land-Graben im wahrsten Sinne des Wortes überbrücken möchte. Die Grundlage dafür bilden die Erkenntnisse aus dem erstmals erhobenen Stadt-Land-Monitor 2021, der ein Zeitfenster von 1981 bis 2021 öffnet.
Der Stadt-Land-Monitor 2021
Die Daten des Stadt-Land-Monitors 2021 wurden im Auftrag der Fenaco vom 1. bis 17. Oktober 2021 in der Deutschschweiz und Romandie erhoben.
Die TeilnehmerInnen wurden über die Online-Panels der Forschungsstelle Sotomo in Bern per Einladung rekrutiert. In die Auswertung sind die Antworten von 3053 Personen eingeflossen.
Die Irrtums-Wahrscheinlichkeit (wissenschaftlich: 95-Prozent-Konfidenzintervall) liegt beim gewählten Vorgehen bei +/-1,9 Prozentpunkten.
Der Stadt-Land-Graben ist eine Schweizer «Spezialität»
Die Schweiz ist die einzige Nation, die auf einen Zusammenschluss von bäuerlichen Talschaften und freien Städten zurückgeht. Ihre besondere Entstehungsgeschichte, in der sich alpine Land-Kantone und mittelländische Stadt-Kantone auf Augenhöhe zusammenfanden, führte dazu, dass das Verhältnis von Stadt und Land hier immer schon besonders aufmerksam verfolgt und kritisch bewertet wurde.
Lange blieb der Stadt-Land-Graben konstant gross – oder klein, je nach Betrachtungsweise. Die Analyse von nationalen Abstimmungs-Ergebnissen von 1981 bis 2014 zeigen, dass Stadt und Land quer durch alle Abstimmungen rund 12 Prozentpunkte voneinander abweichen. Seit den 1990er-Jahren entfernen sich aber die Agglomeration von den Grosstädten und nähern sich gemeinsam mit den kleineren Städten dem Land.
Der Stadt-Land-Graben wird erst seit 2015 grösser
Seit 2015 hat sich der Graben zwischen den Grossstädten und dem ländlichen Raum zunächst langsam und dann massiv erweitert. Seit 2020 liegt die durchschnittliche Differenz bei nationalen Abstimmungs-Entscheiden bei 19 Prozentpunkten.
Tatsächlich sind die Grossstädte seit dem Jahr 2020 bei nationalen Abstimmungen immer wieder aufgefallen – allerdings nicht so, wie man dies im ländlichen Raum zu fühlen glaubt: In 11 von 22 Abstimmungen vom ländlichen Raum wurden die Grossstädte gemäss dem Stadt-Land-Monitor 2021 überstimmt. Wenn man Kleinstädte und Agglomerationen dazu zählt, war die ländliche Bevölkerung sogar in 21 Abstimmungen stärker. Umgekehrt gewannen die Grossstädte seit dem Jahr 2000 nur 1 nationale Abstimmung, das Jagdgesetz.
Im Stadt-Land-Monitor 2021 zeigt sich, dass viele der über 3000 Befragten den Stadt-Land-Gegensatz als gross und relevant wahrnehmen. Aber nur für eine Minderheit führt dieser Gegensatz zu einer Belastungsprobe für die Schweiz. Im Detail:
- 35 % der Schweizer glauben, der Stadt-Land-Graben ist nicht so gross
- 40 % der Schweizer glauben, der Stadt-Land-Graben ist gross, die Schweiz hält das aber aus
- 25 % der Schweizer glauben, der Stadt-Land-Graben ist eine Belastungsprobe für die Schweiz
Die Befragung zeigt keinen harten Stadt-Land-Graben, sondern viel mehr ein Spannungsfeld zwischen den Grossstädten (über 50'000 Einwohner) und dem ländlichen Raum. Nur eine Minderheit bekennt sich zu einem der beiden Pole. «Das Dazwischen ist die schweizerische Normalität», konstantiert der Stadt-Land-Monitor 2021.
Fenaco investiert ab 2022 rund 10 Mio Franken in brückenbauende Projekte
Landbewohner beschreiben die Städter als «konsumfreudig, oberflächlich, arrogant und egoistisch». Umgekehrt beschreiben Städter die Landbevölkerung als «traditionell, gesellig, hilfsbereit und sympathisch». «Es ist kompliziert», würde man in Facebook beim Beziehungs-Status von Stadt und Land hinschreiben. Das Bild des entwurzelten Stadtmenschen, das Johanna Spyri 1879 in ihren «Heidi»-Romanen gezeichnet hat, ist immer noch in den Köpfen vieler SchweizerInnen.
Die sozialen Milieus sind heute oft noch weiter auseinander als 1879. Doch die Mehrheit der Befragten glaubt, dass man mit mit dem direkten Kontakt vor Ort die Gräben in den Köpfen überwinden kann. Ganze 92 Prozent der vom Stadt-Land-Monitor 2021 befragten SchweizerInnen bewerten die Einführung obligatorischer Schulbesuche auf dem Bauernhof und umgekehrt von Stadtschulwochen positiv.
Die Fenaco sieht sich als «Vermittlerin zwischen diesen Welten» und wird in den nächsten Jahren brückenbauende Projekte von Dritten mit total 10 Mio Franken unterstützen.
Zu diesem Zweck wird die Agrargenosschenschaft eine Stiftung gründen, die unabhängig entscheiden kann.
Die Fenaco in Zahlen und Fakten
Die Fenaco gehört den 174 landwirtschaftlichen Landi-Genossenschaften – ist also de jure im Besitz der 43'000 Landi-GenossenschafterInnen (von denen 23'000 aktive Landwirte sind).
Bekannte Fenaco-Unternehmen bzw. Marken sind der Getränkehersteller Ramseier Suisse, der Fleischverarbeiter Ernst Sutter AG, die Detailhändler Volg und Landi, der Düngerhändler Landor, der Futtermittelhersteller UFA sowie die Energieanbieterin Agrola.
Die Fenaco-Genossenschaft beschäftigt 10'000 Mitarbeitende und erwirtschaftete 2020 einen Umsatz von 7 Mrd Franken.