Blasmusik am Alpen-Gipfel-Europa auf der Firstalm in Bayern.Alpen-Gipfel-EuropaAm 1. Alpen-Gipfel-Europa blasen Bergbauern den Landwirtschafts-Politikern den MarschDonnerstag, 23. Juni 2022 «Die Berglandwirte in Deutschland, Österreich, dem Südtirol (I) und der Schweiz erhalten und schützen mit einer Perspektive über mehrere Generationen die Lebensmittelproduktion und die Kulturlandschaft», erklärt Michaela Kaniber im Interview mit unserem Fachmagazin für die Schweizer Landwirtschaft. Das Gespräch wurde Ende Juni 2022 auf dem 1. «Alpen.Gipfel.Europa» auf der Firstalm geführt, einer 1325 m ü. M. gelegenen Alp über dem Spitzingsee in Oberbayern.

Das vollständige Interview hören Sie in der Episode 22 von unserem «AgrarPodcast».

Frau Kaniber, welche Beziehung haben Sie zur Berglandwirtschaft?

Ich bin im Berchtesgadener Land aufgewachsen mit seinen hochalpinen Gebirgslandschaften, wo wir sehr viele Almen haben. Und ich geniesse die Bergwelt und die Berglandwirtschaft, die unsere Kulturlandschaft einzigartig prägen. Das bedeutet für mich Heimat.

Die Berglandwirtschaft kämpft heute mit grossen Problemen. Was sind die dringendsten Probleme der Berglandwirtschaft in Bayern?

Wir haben drei Problem-Schwerpunkte, die uns bewegen.

1. Der Klimawandel, der auch bei uns vermehrt zuschlägt, wenn es um Beweidungsfläche geht. Wenn es über viele Wochen nicht regnet, verdorren die Almen. Umgekehrt die ganze Vegetation oft früher ein. Wir müssen die Almwirtschaft unter anderem damit unterstützen, dass wir frühere Beweidungsmöglichkeiten schaffen. Zum Beispiel in den bayerischen Staatsforsten, zu denen auch Almen gehören. Das versuchen wir, auf den Weg zu bringen.

2. Ein Problem, das auf beiden Seiten viele Emotionen weckt, ist der starke Tourismus in Bayern. Wir haben sieben Millionen Übernachtungsgäste in Bayern. Aber auch 50 bis 100 Millionen Tagesgäste pro Saison. Darüber freuen wir uns natürlich. Aber der Druck auf die Almen wird damit immer grösser.

Diese Gäste bringen im doppelten Sinne Unruhe auf die Almen, weil sie keine Rücksicht nehmen auf die Weideflächen. Unsere Almwirte finden mittlerweile täglich von Wanderern oder Mountainbikern offen gelassene Viehgatter und müssen ihre verstreute Herde wieder zusammensuchen. Davor und vor anderen negativen Einflüssen des Tourismus müssen wir die Almwirtschaft schützen, das ist mir ein Herzensanliegen.Deshalb versuchen wir zusammen mit der Almwirtschaft und dem Deutschen Alpenverein DAV ganz klar Grenzen aufzuzeigen. Die Wanderer sollen auf den Almwegen bleiben und für die Mountainbiker schaffen wir eigene Trails. Wir möchten den Tourismus und die Almwirtschaft so aufstellen, dass eine Nutzung für alle möglich wird – aber keiner dem anderen in das Gehege kommt.

Aber auch unsere Wildtiere wollen ihre Ruhe haben. Wir haben im Winter mittlerweile so viele Skitouren-Geher, dass es zum Problem wird. Ich habe volles Verständnis dafür, dass die Menschen in die Natur raus wollen. Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die damit ausgelöste Weltwirtschaftskrise führen dazu, dass die Menschen im eigenen Land Urlaub machen wollen oder sogar müssen. Und ich verstehe das auch, dass es einen in die Berge drängt. Aber dazu braucht es klare Spielregeln und eine klare Verantwortung.

Es braucht Aufklärungsarbeit, aber auch die Bewusstseinsbildung, dass man die Natur nutzen kann – aber mit Respekt und Würde. Demnächst starten wir deshalb eine  Kampagne unter dem Motto «Respektiere deine Grenzen» mit grossen Erklärtafeln in unseren Berggebieten. Und das machen wir wir grenzübergreifend. Neben Bayern machen auf österreichischer Seite auch die Bundesländer Vorarlberg, Tirol und das Salzburger Land mit.

3. Noch mehr Emotionen als der Tourismus wecken in der Almwirtschaft nur die Grossraubtiere, die zurückkehren. Wir sind uns absolut bewusst, dass der Wolf artenschutzrechtlich geschützt ist. Aber wir sehen auch hier, dass die Konflikte zunehmen. Wir haben zunehmend mehr Begegnungen mit dem Wolf und auch Risse von Nutztieren durch Wölfe. Mit den von Naturschützern und Tierschützern vorgeschlagenen Herdenschutz-Zäunen, Herdenschutz-Hunden und auch mehr Hirten können wir die Wölfe nicht von unseren Nutztieren fern halten.

Wenn ich dann sehe, dass der Wolf in der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN nicht mehr als gefährdet gilt, dann heisst das, die Wolfs-Population in Europa ist stark genug. Und die Populations-Grösse steigt jährlich um 30 Prozent. Deswegen möchte ich erreichen, dass in allen EU-Mitgliedsstaaten ein gemeinsames europäisches Monitoring geschaffen wird und der Schutzstatus des Wolfes aufgehoben wird. Weil dies wahrscheinlich länger geht, wollen wir über die Arge Alp versuchen, ein Alpen-Wolfsmonitoring hinbekommen. Wir müssen wissen, wie viele Wölfe sind tatsächlich in den Alpenregionen leben.

Landwirtschaft in Bayern

Bayern ist das flächenmässig grösste deutsche Bundesland, doppelt so gross wie die Schweiz, mit 13 Millionen Einwohnern.

Die 105'000 Landwirtschafts-Betriebe in Bayern beschäftigen (inklusive den  vor-/nachgelagerten Bereichen) 1 Mio Menschen, dies entspricht 13 Prozent aller Erwerbstätigen in Bayern

Der durchschnittliche Betrieb ist 30 ha gross, davon sind 65 Prozent Ackerbau und 35 Prozent Grünland.

Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Wir führen dieses Interview am «Alpen.Gipfel.Europa» auf der bayerischen Firstalm. Was könnte dieser «Alpen.Gipfel.Europa» besser oder anders machen als die 1972 gegründete Arge Alp? (Die Arbeitsgemeinschaft Alpenländer behandelt in grenzüberschreitender Zusammenarbeit gemeinsame ökologische, kulturelle, soziale und wirtschaftliche Probleme des Alpenraumes.)

Grundsätzlich haben die Arge Alp und der «Alpen.Gipfel.Europa» ganz andere Blickrichtungen. Die Arge Alp ist ein politischer Zusammenschluss der Alpenländer, der Regierungschefs, Minister und Landesräte zusammenbringt. Der «Alpen.Gipfel.Europa» ist dagegen ein Zusammenschluss der Landwirtschaftsverbände der Alpenländer.

Die Bauernpräsidenten – also die Landwirtschaftsverbände – haben natürlich ihre Prioritäten in der Landwirtschaft mit all ihren Herausforderungen und mit allen möglichen Lösungsansätzen. Und dies im Unterschied zu Naturschützern und Tierschützern ohne ideologische Scheuklappen. Insbesondere die Berglandwirte wollen mit einer Perspektive über mehrere Generationen die Lebensmittelproduktion erhalten und die Kulturlandschaft schützen. Und sie wollen die Traditionen aufrecht erhalten – und das alles so, dass die Bergbauern-Familien dabei überleben können.

Und dieser Blickwinkel gefällt mir, weil die Berglandwirte das per se mit einem maximalen Naturschutz machen. Wenn ich die Wiesen und Weiden auf der Firstalm anschaue, dann bin ich stolz darauf, wie hier die Nutztierhaltung und der Schutz von Landschaft und Natur Hand in Hand gehen. Deshalb finde ich den Ansatz richtig, dass sich die Landwirtschaftsverbände grenzüberschreitend im «Alpen.Gipfel.Europa» zusammengeschlossen haben und der Politik die Möglichkeit geben, sich einzubringen und zu diskutieren.

Die Landwirtschaftsverbände wollen mit dem «Alpen.Gipfel.Europa» auf die Politik Druck ausüben – also auch auf Sie und das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Was werden Sie nach dem «Alpen.Gipfel.Europa» konkret anders oder mehr für die Berglandwirtschaft unternehmen?

Ich werde heute sehr zufrieden vom «Alpen.Gipfel.Europa» nach Hause fahren, weil ich gemerkt habe, dass kein Blatt Papier zwischen das bayerische Landwirtschaftsministerium und die Landwirtschaftsverbände passt. Wir sind in vielen Themen einer Meinung und dafür weiter kämpfen, woran ich schon seit vier Jahren arbeite.

Michaela Kaniber

Michaela Kaniber (1977) ist seit März 2018 Landwirtschaftsministerin von Bayern. Kanibers Eltern kamen Ende der 1960er-Jahre als Gastarbeiter aus Bosnien und Herzegowina respektive Kroatien ins bayerische Bad Reichenhall, wo sie bis heute ein Gasthaus betreiben.

Nach eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten arbeitete Michaela Kaniber 1996 bis 2004 in einer lokalen Steuerkanzlei, von 2005 bis 2013 im Gastronomiebetrieb der Familie.

Kaniber ist seit 2005 Mitglied der in Bayern regierenden Christlich-Sozialen Union in Bayern CSU, die im politischen Spektrum mittig-rechts verortet wird. Sie absolvierte die «Ochsentour» von der Lokalpolitik bis hinauf in die Regierung des Freistaates Bayern, in welcher Kaniber seit März 2018 als Landwirtschaftsministerin ihre Akzente setzt.

Michaela Kaniber ist mit einem Polizeibeamten verheiratet, die Familie hat drei Töchter.