Kurz & bündig
- Die 10-Prozent-Toleranz in der Suisse Bilanz soll gestrichen werden.
- Dies leistet einen kleinen Beitrag zur angestrebten Senkung der Nährstoffverluste um 20 Prozent.
- Wie die Ziele – sowohl bei der Suisse Bilanz als auch bei den Verlusten – erreicht werden sollen, scheint noch nicht geklärt zu sein.

2021 wurden die beiden Pflanzenschutz-Initiativen vom Volk abgelehnt. Kurz zuvor hatten der Nationalrat und Ständerat die Agrarpolitik 2022+ sistiert. Das Fuder sei überladen gewesen, hiess es von mehreren Seiten, zu viele Änderungen sollten mit der neuen AP erfolgen.

Änderungen ÖLNVerordnungspaket Parlamentarische Initiative 19.475: Was kommt?Dienstag, 19. Juli 2022 Um die Agrarpolitik trotzdem weiterzuentwickeln, reichte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats WAK-S eine Parlamentarische Initiative Pa.Iv. ein. Über diesen Weg entstanden im Rahmen der Pa.Iv. 19.475 die sogenannten Absenkpfade für Pflanzenschutzmittel und Nährstoffe. Darin enthalten sind Massnahmen zur Senkung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes sowie von Nährstoffverlusten.

Im Folgenden konzentriert sich dieser Artikel nun auf den Nährstoff-Absenkpfad und insbesondere auf eine der geplanten Massnahmen, die Anpassung der Suisse Bilanz. Doch später mehr dazu.

Verluste um 20 Prozent senken

Das Ziel des Nährstoff-Absenkpfades ist es, die Verluste der Nährstoffe Stickstoff und Phosphor bis 2030 um je 20 Prozent zu senken, verglichen mit dem Mittel der Jahre 2014 bis 2016. Doch woher kommt diese Zahl?

Hintergrund dieser drastischen Reduktionsziele sind die «Umweltziele Landwirtschaft», welche das Bundesamt für Umwelt BAFU und das Bundesamt für Landwirtschaft BLW schon 2008 gemeinsam ausgearbeitet hatten.

Mengen überschreiten aktuell die vereinbarten Höchstwerte

Dabei ging und geht es um die Erhaltung der Biodiversität, den Schutz der Natur- und Kulturlandschaften, Bodenschutz sowie Minderung der Emissionen von Treibhausgasen.

18 Jahre nach dem Verfassen der «Umweltziele» erreichen die Nährstoffverluste aus der Schweizer Landwirtschaft nach wie vor Mengen, die über den vereinbarten Höchstwerten liegen, wie der Statusbericht 2016 zeigte. Um die Umwelt von diesem Nährstoffüberfluss zu entlasten, wurde nun also diese Reduktion der Verluste beschlossen.

Erste Massnahmen ab 2024 gültig

Wie soll das erreicht werden? Um die Senkung der Nährstoffe aus der Landwirtschaft um 20 Prozent zu erreichen, sind folgende Änderungen im ÖLN vorgesehen:

  • Phasenfütterung der Schweine (voraussichtlich ab 2027)
  • Schleppschlauch-Obligatorium (ab 2024)
  • Mitteilungspflicht (frühestens 2025): Kraftfutter- und Düngerlieferungen müssen im zentralen Informationssystem des Bundes erfasst werden.
  • Suisse Bilanz (ab 2024, Anfang 2025 gerechnet und im Beitragsjahr 2025 kontrolliert): «Die Fehlerbereiche von plus 10 Prozent bei Stickstoff und Phosphor werden per 2024 aufgehoben. Die Nährstoffbilanz 2024 darf somit bei maximal 100 Prozent abgeschlossen werden», heisst es im Verordnungspaket zur Pa.Iv. 19.475.

In der Suisse Bilanz werden einerseits die Tierbestände und deren Düngeranfall sowie die Düngerverschiebungen aufgeführt, um die Nährstoffmengen auf dem Betrieb zu kennen. Das wird andererseits dem Nährstoffbedarf der Kulturen auf dem Betrieb gegenübergestellt.

Das Ziel ist eine ausgeglichene Nährstoffbilanz, die bis anhin 10 Prozent Toleranzbereich für Stickstoff und Phosphor erlaubte. Das soll sich nun ändern.

10 Prozent Toleranz: «Fachlich nicht mehr gerechtfertigt»

Die geplante Abschaffung der 10-Prozent-Toleranz würde gemäss den Berechnungen des Bundes gut 2 Prozent zur Nährstoffabsenkung beitragen.

Das BLW begründet die Streichung der 10 Prozent in der Suisse Bilanz wie folgt: «Die in den 1990er-Jahren eingeführte Toleranzmarge, welche die Ungenauigkeiten in der Berechnungsmethode ausgleichen sollte, ist fachlich nicht mehr gerechtfertigt.»

Die Suisse Bilanz sei seit ihrer Einführung laufend weiterentwickelt und aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen der Praxis angepasst wurde. Die Berechnung sei dadurch immer genauer geworden.

An der Suisse Bilanz wird festgehalten

Diesen Einwand lässt Adrian Schütz von Suisseporcs nicht gelten: «Die Suisse Bilanz ist zu wenig transparent.» Man könne die rechnerischen Hintergründe in den Grundlagen der Düngung GRUD nachlesen, heisse es jeweils. Doch das sei kompliziert und aufwändig. «Ein Lehrling im dritten Lehrjahr muss die Suisse Bilanz verstehen können. Aktuell ist das eher schwierig», so Schütz.

[IMG 2]

Trotzdem betonen sowohl Adrian Schütz als auch das BLW, dass sie die Suisse Bilanz als Instrument für die ausgeglichene Bilanzierung der Nährstoffe befürworten und dass daran festgehalten werde. Einzig bei den Toleranz-Prozenten sind sie nicht einig.

«Bedeutung von Hofdünger wird zunehmen»

Vor dem Bundeshaus in Bern steht ein KranAbsenkpfadeStandPunkt von Martin Rufer: Lehrstück in Sachen ÜberregulierungDienstag, 6. Dezember 2022 Sobald die 10 Prozent der Suisse Bilanz fallen, würden SchweineproduzentInnen mehr Gülle abführen müssen, sagt Adrian Schütz. Das sollte nicht allzu schwierig werden, prognostiziert er: «Die Bedeutung von Hofdünger wird zunehmen und dadurch werden sich auch vermehrt Abnehmer von Gülle finden.» 

Nach dieser kurzen Antwort kommt Schütz schnell auf die Massnahmen zum übergeordneten Ziel zu sprechen, die 20 Prozent Senkung der Nährstoffverluste in der Landwirtschaft. «Wir als Branche waren bereit, bei 10 Prozent mitzumachen. Wir schätzten diese Reduktion als technisch machbar ein. Doch die 20 Prozent führen faktisch zu einer Senkung der Tierzahlen», so Schütz.

«Betroffene wurden im politischen Prozess nicht zu Beteiligten gemacht», sagt Schütz, der bemängelt, dass bei den Entscheidungen zum Absenkpfad und auch zur Suisse Bilanz die PraktikerInnen nicht genügend zu Wort kamen.

StandPunkt Deborah Rentsch, Redaktorin «die grüne»:
Der Mist ist bereits geführt


Die Anpassung der Suisse Bilanz ist nicht das wichtigste Werkzeug zur Senkung der Nährstoffverluste. Fallen die 10 Prozent Toleranz in der Bilanz weg, führe das zu einer Senkung um die 2 Prozent, rechnet der Bund. Total sollen es 20 Prozent weniger Stickstoff- und Phosphorverluste werden. Da fehlen eindeutig noch einige Prozente.
Ich schliesse daraus: Die Suisse Bilanz ist nicht das wichtigste Werkzeug zur Nährstoff-Senkung – aber ein gutes Beispiel, um zu zeigen, dass etliche Punkte im verabschiedeten Verordnungspaket noch nicht geklärt sind.

Am Beispiel der Suisse Bilanz sieht das etwa so aus: Die effiziente Düngung auf einer einzelnen Parzelle kann mit der Suisse Bilanz nicht festgestellt werden. Denn die fachliche Praxis wird nicht berücksichtigt, erhoben wird einzig die ausgebrachte Düngermenge.

Und selbst wenn dieser Schönheitsfehler nicht wäre, bildet eine Bilanz nie die Realität ab. Respektive sie hinkt der Realität hinterher. Denn zum Zeitpunkt, zu dem die Suisse Bilanz gerechnet wird, ist auf dem Feld bereits der Mist geführt, wie man so schön sagt. Ist die Suisse Bilanz also das geeignete Werkzeug, um die Reduktionsziele bei Stickstoff und Phosphor tatsächlich zu erreichen?

Was zu einer nächsten Frage führt: Wie soll denn die Reduktion der Stickstoff- und Phosphorverluste überhaupt gemessen werden? Das scheint noch gar nicht geklärt zu sein. Das BLW schreibt in einer Übersicht zum Verordnungspaket, dass die Methodezur Berechnung derReduktion noch definiert werde.

Womit wir bei der letzten Frage sind: Wie erreichen wir also das Ziel der reduzierten Nährstoffverluste von 20 Prozent? Auf diese Frage scheint niemand eine konkrete Antwort zu haben. Es scheint allerdings auch nicht die entspannteste Stimmung zu herrschen, in der man gerne zusammen nach Lösungen sucht. Denn gross scheint die Verärgerung bei den Verbänden über die Beschlüsse, die Politik und Verwaltung gefasst haben, ohne dass sie auf Vorschläge und Einwände aus der Praxis eingegangen wären. So jedenfalls lautet der Vorwurf.

So viele offene Fragen! Die Befürchtung liegt nahe, dass 2030 die Ziele nicht erreicht sein werden.