Kurz & bündig
- Seit Anfang 2023 wird in der Zuckerfabrik Aarberg BE erstmals Schweizer Ethanol aus Zuckerrübenmelasse hergestellt.
- Schweizer Ethanol gehört zu den reinsten Ethanolen überhaupt.
- Schweizer Ethanol überzeugt durch seine hohe Qualität, welche nur dank der eher kleinen, modernen Anlage erreicht werden kann.
Schweiz drauf, Schweiz drin. Ab diesem Jahr werden einige Schweizer Spirituosen wie Appenzeller Alpenbitter, Gin und Absinth neu Schweizer Ethanol beinhalten. In der Zuckerfabrik Aarberg BE wurde vergangenes Jahr die neue Ethanol-Produktionsanlage eröffnet. Seit dem 20. Januar 2023 wird aus einem Teil der Schweizer Zuckerrübenmelasse zum ersten Mal seit 2008 wieder hochwertiges Schweizer Ethanol hergestellt (Zuckerherstellung siehe Ausgabe 11/2021).
Aus der Schweizer Zuckerrübe kann somit ein weiteres wertvolles Produkt hergestellt werden.
Die Ethanolherstellung aus Zuckerrübenmelasse ist eigentlich nichts Neues. Melasse ist ein gängiger und willkommener Rohstoff zur Ethanolproduktion. «Man kann reines Ethanol beispielsweise auch aus Getreide oder Kartoffeln herstellen. Der grosse Vorteil der Melasse ist aber, dass diese im Gegensatz zu den anderen Rohstoffen ein Nebenprodukt ist», erklärt Guido Stäger, CEO der Zuckerfabrik Aarberg BE und Frauenfeld TG.
Südzucker in Deutschland und weitere Zuckerfabriken stellen schon lange industriell Trinkethanol her. Aber auch Bioethanol zum Beimischen beim Treibstoff.
Kein Desinfektionsmittel, sondern Trinkethanol
In etlichen Medien hiess es im Jahr 2022 nach der Pandemie, dass in Aarberg künftig Desinfektionsmittel hergestellt werden soll. «Die Idee war nie, Ethanol für Desinfektionszwecke herzustellen. Der Schweizer Ethanol ist qualitativ so hoch, dass es fast schade wäre, diesen als Desinfektionsmittel einzusetzen», meint Florian Krebs, Geschäftsführer von Alcosuisse.
Die Vision ist eine andere und wurde bereits vor der Pandemie entwickelt. Alcosuisse ist der Hauptlieferant von Ethanol in der Schweiz. Künftig soll für Schweizer Spirituosen endlich auch Schweizer Ethanol geliefert werden können. Bisher kam das Ethanol stets aus dem Ausland, meistens aus Pakistan oder Amerika. Die Schweizer Melasse als Rohstoff ist qualitativ vergleichbar mit ausländischer. Erst die Anlage ist entscheidend für die Qualität des Ethanols.
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Wie ist Schweizer Ethanol wettbewerbsfähig
In Aarberg steht eine eher kleine, dafür feine Anlage. «Wir hätten auch eine günstigere Anlage aufstellen und dasselbe Ethanol wie im Ausland produzieren können. Aber nur der Aspekt Swissness hätte den höheren Preis nicht gerechtfertigt. Wir wollten mehr bieten», erklärt Florian Krebs.
«Mit unseren Preisen hätten wir keine Chance, das Ausland zu konkurrieren. Aber wir bieten beste Qualität», ist Guido Stäger überzeugt. CH11 und CH15 (siehe Kasten), die beiden Schweizer Ethanole, gehören zu den absolut reinsten Ethanolen. Trotz der hohen Qualität gehört Schweizer Ethanol nicht zu den teuersten Produkten bei Alcosuisse. Ausländische Bio- und Demeter-Ethanole sind noch teurer.
Die hohe Qualität kann nur dank der eher kleineren und modernen Anlage erreicht werden. Diese Anlage wird zudem sehr nachhaltig betrieben. Im neuen Holzkraftwerk unmittelbar neben der Zuckerfabrik wird aus Altholz Dampf erzeugt, mit dem wiederum die Anlage das Ethanol aus der Melasse destilliert.
Es handelt sich um ein 5-stufiges System (siehe Abschnitt Produktion am Ende des Artikels), wobei die Maische fünf Mal destilliert wird. Das sind ein paar Destillationsdurchgänge mehr als bei ausländischem Schnaps. Dadurch kann ein grösserer Teil der Verunreinigungen herausdestilliert werden.
Trink- und Pharmaethanol
In Aarberg wird Trinkethanol hergestellt, sogenannt CH11. Später soll auch Pharmaethanol hergestellt werden, sogenannt CH15. Dieses kann für Parfüm, Tinkturen und Kosmetik eingesetzt werden.
Die Art des Ethanols wird durch die chemische Zusammensetzung definiert. Welches Ethanol entstehen soll, kann bei der Destillation beeinflusst werden. Je nach dem, wie oft und bei welchen Temperaturen destilliert wird, verflüchtigen sich andere Stoffe, bzw. Verunreinigungen.
Schweizer Ethanol ist feiner und samtiger
Mit dieser Qualität sollen lokale Spirituosenhersteller angesprochen und überzeugt werden. Appenzeller ist der grösste Abnehmer von Alcosuisse und hat seine Produkte bereits teilweise auf Schweizer Ethanol umgestellt. Welche Spirituosenhersteller sonst noch Schweizer Ethanol einsetzen, finden Sie hier.
Im Geruch sei Schweizer Ethanol deutlich feiner und verursacht durch seine Reinheit weniger Kopfschmerzen beim Konsum. Die Qualität wird täglich von Metas kontrolliert, dem eidgenössischen Institut für Metrologie (also Messungen). Trotz sämtlichen Daten aus der Laboranalyse muss der Geruch durch die menschliche Nase analysiert werden. Diese kann restliche Verunreinigungen am besten herausriechen.
Die Qualität überzeugt auch KonsumentInnen. «Bugnon, ein Absinthhersteller aus dem Val de Travers, hatte bereits viele positive Kundenrückmeldungen seit der Umstellung auf Schweizer Ethanol. Der Absinth werde viel feiner und samtiger wahrgenommen», sagt Florian Krebs.
Bald auch Schweizer Ethanol in Bio-Qualität?
Schweizer Ethanol findet also Anklang. Die Zuckerfabrik und Alcosuisse wollen den Markt deshalb weiter erschliessen. Die Kapazität der Anlage ist noch lange nicht ausgeschöpft. Denn es wäre genügend Schweizer Melasse vorhanden, um den ganzen Schweizer Spirituosenmarkt auf Schweizer Ethanol umzustellen. Für die Zuckerfabrik ist die Produktion ein neues wichtiges Standbein.
Und es stehen bereits weitere Visionen an. «Noch im Jahr 2023 soll das Projekt Ethanol aus Schweizer Bio-Melasse zum Fliegen gebracht werden», erzählt Guido Stäger. In diesem Fall würde die Bio-Melasse aus Frauenfeld nach Aarberg zur Verarbeitung transportiert werden.
Im Notfall gibt’s landeseigenes Desinfektionsmittel
Der Fokus der Produktion liegt ganz klar beim Konsumalkohol. «Im Hinblick auf die Pandemie waren wir zwei Jahre zu spät mit dem Bau der Anlage», erklärt Guido Stäger.
«In der Krise hat man gesehen, wie wichtig die landeseigene Versorgung ist. Die Anlage wäre jetzt vorhanden, damit im Notfall anstelle von Konsumalkohol einfach Desinfektionsmittel hergestellt werden könnte.»
Wie entsteht aus Zuckerrübenmelasse hochwertiges Ethanol?
Pro Tag werden in der Anlage in Aarberg 2000 Liter reines Ethanol mit 96,8 % Alkoholgehalt produziert. Dazu braucht es sieben Tonnen Melasse. Die Anlage läuft von Januar bis Mai. Zukünftig soll aber bereits während der Zuckerrübenkampagne mit der Ethanolproduktion begonnen werden.
Dank der Hefe wird Zucker zu Alkohol
Als erster Schritt wird im Fermenter der Zucker aus der Melasse zu Alkohol umgewandelt, siehe Abbildung zur Ethanolproduktion. Dies geschieht mit Hilfe von Hefepilzen. Die Melasse alleine wäre zu dick für die Hefe, weshalb noch Wasser beigemischt wird. Da der pH-Wert 5,5 betragen muss, wird noch Säure hinzugefügt. Die ganze Masse wird während 48 Stunden unter konstanter Temperatur und Zuckerkonzentration fermentiert. Bei diesem Prozess entsteht nebst Alkohol auch noch CO2, das abgesaugt wird.
Anschliessend gelangt die sogenannte Maische mit zirka 10 % Alkoholgehalt in den Vorratsbehälter und dann in die Destillation. Der Destillationsvorgang dauert im Vergleich zur Fermentation nur wenige Stunden, weshalb die Maische vom Vorratsbehälter nach und nach in die Destillation gelangt. Der Destillator läuft 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche. [IMG 3]
Hohe Qualität dank 5-stufiger Anlage
In Aarberg steht eine 5-stufige Anlage. Das heisst, die Maische wird 5 Mal auf verschiedene Temperaturen erhitzt. Bei der Destillation werden die verschiedenen Siedepunkte der einzelnen Stoffe genutzt, um sie vom Ethanol zu trennen. Gewisse Stoffe verflüchtigen sich bei höheren Temperaturen als andere. Mit der Temperatur und der Anzahl Destillationsdurchgänge kann die Qualität des Ethanols beeinflusst werden.
Nebenprodukte sollen künftig besser verwertet werden
Bei der Destillation entstehen auch Nebenprodukte. Beim ersten Destillationsdurchgang wird das Ethanol vom Salz, der Hefe und den Eiweissen getrennt. Es entsteht Schwarzwasser, welches in Futtermittel verwertet werden kann. Weitere Nebenprodukte wie das Kondensat, Abwasser und das Fuselöl werden in der fabrikeigenen Kläranlage aufbereitet und anschliessend in die Biogasanlage gebracht. Hier wird daran gearbeitet, diese Nebenprodukte noch besser verwerten zu können.