Frau Helfenstein, der Biodiversität in der Schweiz geht es nicht gut, wie die Wissenschaft belegt. Was müssen wir tun?
Sandra Helfenstein: Biodiversität ist wichtig und wir müssen ihr Sorge tragen. Der heutige Zustand liegt zu einem grossen Teil in den Fehlern der Vergangenheit begründet. Die Trendwende in der Agrarpolitik vor 25 Jahren trägt unterdessen Früchte. Das heisst nicht, dass bereits alles in Butter ist. Vielmehr gibt es immer noch Herausforderungen, die aber gezielte Massnahmen benötigen. Einfach immer mehr Fläche auszuscheiden – das zeigen die Erfahrungen –, ist nicht der richtige Weg. Es ist aber das Rezept der Initianten.
Für Landwirte ist die Biodiversität essenziell. Wieso wehrt sich dann der Bauernverband gegen die Initiative?
Unser Nein ist absolut kein Nein zur Biodiversität! Es ist ein Nein zu den Forderungen der Initiative und es ist ein Nein zum einseitigen Fokus auf nur ein Anliegen. Dieser muss – gerade in einem so dicht besiedelten und kleinräumigen Land wie der Schweiz – auf einer Kombination und einem Miteinander liegen. Zudem geht es in der Initiative um weit mehr als Biodiversität. Über die Verschärfung des Denkmal-, des Ortsbild- und des Landschaftsschutzes wäre auch das Bauen noch stärker eingeschränkt.
Wäre bei einer Ablehnung der Initiative das Thema Biodiversität für die Landwirtschaft vom Tisch?
Natürlich nicht. Die Förderung der Biodiversität und das Lösen der nach wie vor bestehenden Probleme bleiben aktuell. Die Landwirtschaft ist auf die Biodiversität angewiesen. Umgekehrt ist die Biodiversität auch auf die Landwirtschaft angewiesen. Erst durch deren Nutzung der Flächen entstehen die vielfältigen Lebensräume des Kulturlands.
Sie sagen es: Biodiversität und Lebensmittelproduktion hängen zusammen. Es besteht auch eine gewisse Flächenkonkurrenz. Wo liegt hier das Optimum?
Wir haben aktuell fast 20 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf Landwirtschaftsland. Das ist eine gute und aus unserer Sicht ausreichende Ausgangslage. Das Problem ist, dass diese Flächen nur zu einem Teil den gewünschten Nutzen bringen. Deshalb müssen wir nun in die Qualität investieren und diese sehr gezielt optimieren. Gezielt deshalb, weil auch die Absicht klar sein muss: Eine Hecke kann je nach Anlage und Bewirtschaftung vielen Vögeln dienen oder sie kann vor allem einer, aber sehr seltenen und anspruchs-vollen, Vogelart etwas bringen.
Weiteres Potenzial gibt es auch auf den Landwirtschaftsflächen selbst, indem die Bewirtschaftung angepasst wird. Sei es zum Beispiel mit Getreide in weiten Reihen oder dem Verzicht auf den Mähaufbereiter bei blühenden Beständen. So gibt es viele weitere Möglichkeiten, ohne dass wir mehr streng geschützte Naturschutzgebiete einrichten.
Welche konkreten Folgen hätte eine Annahme der Initiative für die Landwirtschaft?
Die Folgen der Initiative wären mehr und strenger geschützte Flächen für die Biodiversität. Auf diesen Flächen wäre gar keine oder nur mehr eine äusserst eingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung möglich. Von wie viel Flächen wir am Schluss reden, steht im Initiativtext nicht geschrieben.
Zudem verschärft die Initiative den Denkmal-, den Ortsbild- und den Landschaftsschutz. Das Errichten von Ökonomiegebäuden für die Landwirtschaft würde noch viel schwieriger und aufwendiger.
Weshalb betiteln Sie die Initiative als «zu extrem»?
Extrem ist die angestrebte Schutzvorstellung. Die Initiative will einerseits mehr exklusive Fläche für die Biodiversität generell und andererseits den Schutz auch ausserhalb dieser definierten Fläche erhöhen. Wir haben in der Schweiz aber noch andere Anliegen, die auch ihre Berechtigung haben. Die Lebensmittelproduktion ist eine davon. Die Erzeugung von nachhaltigem Strom eine andere. Die Folge einer Annahme der Initiative ist dann die weitere Verlagerung des ökologischen Fussabdrucks ins Ausland.
Hätte die Annahme der Biodiversitäts-Initiative einen Einfluss auf das angenommene Stromgesetz?
Ja, eine Annahme würde das Stromgesetz überflüssig machen. Denn die strengen Schutzvorstellungen auf grossen Gebieten würden auch den Ausbau erneuerbarer Energie aushebeln.
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