«Die Agrarpolitik AP22+ gehört auf den Misthaufen», meint «die grüne»-Chefredaktor Jürg Vollmer im Editorial vom Februar-Heft 2021. «Und mit der AP22+ die ganze Vierjahres- Aufpfropf-Agrarpolitik mit dem damit verbundenen Bürokratie-Monster.» «Eine Vereinfachung der Agrarpolitik ist tatsächlich notwendig», antwortet Ökonom Mathias Binswanger in einem «StandPunkt».
Jürg Vollmer will die heutige Agrarpolitik radikal vereinfachen. Landwirte erhalten einen jährlichen «Basis Null»-Beitrag, der nach der Betriebsgrösse in Hektar und der Anzahl Nutztiere in Grossvieheinheiten GVE. Unterschieden wird dann nur noch nach den landwirtschaftlichen Zonen, also nach Tal-, Hügel- oder Bergzone. Dann müssen noch die gesetzlichen Umwelt- und Tierschutzvorschriften eingehalten werden – und fertig ist die Vollmersche Landwirtschaftspolitik.
Tatsächlich drängt sich eine Vereinfachung der Agrarpolitik auf. Wie Jürg Vollmer richtig feststellt, hat diese ständig an Bürokratie zugelegt. Und es arbeiten zunehmend mehr Menschen in der Landwirtschafts-Bürokratie als in der Landwirtschaft selbst.
Die Direktzahlungen an die Landwirte wurden im Verlauf der Zeit immer vielfältiger und an immer speziellere Bedingungen geknüpft. Es gibt Kulturlandschafts-Beiträge, Versorgungssicherheits-Beiträge, Biodiversitäts-Beiträge, Landschaftsqualitäts-Beiträge, Produktionssystem-Beiträge, Ressourceneffizienz-Beiträge oder Einzelkultur-Beiträge.
Und das sind nur die Überbegriffe. So verbergen sich hinter dem Begriff «Biodiversitäts-Beiträge» Qualitätsbeiträge, die in unterschiedlichen Qualitätsstufen unter anderem davon abhängig sind, ob man Wiesen extensiv nutzt, welche Art von Heckengehölzen und Ufergehölzen angebaut werden oder wie Uferwiesen entlang von Fliessgewässern gestaltet werden.
Diese immer stärkere und teilweise absurde Ausdifferenzierung der Direktzahlungen entspricht letztlich dem Bedürfnis, diese exakt begründen zu können. Man will genau wissen, für welche Leistung ein Landwirt Geld bekommt, um so die Landwirtschaft immer mehr auf Nachhaltigkeit, Biodiversität, Tierwohl oder Landschaftspflege zu trimmen.
Allerdings ist man hier längst über das Ziel hinausgeschossen:
- Erstens sind die bürokratischen Hürden etwa für die Produktion von Bio-Produkten so hoch geworden, dass es sich teilweise gar nicht mehr lohnt.
- Zweitens setzt man den Landwirten auf diese Weise Anreize, sich vor allem um die Optimierung der empfangenen Direktzahlungen zu kümmern statt um die Produktion von Lebensmitteln. Weil viele der Zahlungen nichts mehr mit Lebensmittelproduktion zu tun haben, wandelt sich der Landwirt so schleichend vom Nahrungsmittelproduzenten zum Landschaftsgärtner.
- Und drittens kommt noch dazu, dass die Landwirtschaftspolitik alle vier Jahre wieder verändert wird, so dass die Landwirte stets neuen Anreizen hinterherrennen müssen.
Auch die AP22+ bringt hier keine Änderung. In dieser werden die Direktzahlungen einmal mehr neu ausgestaltet und die Kategorien wieder verändert, aber nicht vereinfacht.
Tatsächlich wäre es sinnvoll, die Direktzahlungen anhand einiger weniger, überschaubarer Kriterien auszurichten, die auch längerfristig verbindlich sind.
Allerdings muss man zusätzliche Anreize setzen, damit die spezifischen Aspekte der Landschaftspflege oder eine extensive Landwirtschaft für die Landwirte finanziell interessant bleiben. Allein nur mit Vorschriften lassen sich die Ziele der Landwirtschaftspolitik nicht erreichen.
Es braucht einen Mittelweg. Eine zu einfache, undifferenzierte Landwirtschaftspolitik kann die Landwirtschaft nicht in eine gewünschte Richtung steuern. Eine zu ausdifferenzierte Landwirtschaftspolitik führt hingegen zu Bürokratie und Fehlanreizen. Die grosse Kunst besteht darin, den Ausgleich zu schaffen.
Mathias Binswanger
Der Ökonom Mathias Binswanger (57) ist Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Olten und Privatdozent an der Universität St.Gallen.
Das jährliche Ökonomen-Einfluss-Ranking der «Neuen Zürcher Zeitung» zählt Binswanger seit Jahren zu den drei einflussreichsten Ökonomen der Schweiz.