Ich möchte Ihnen eine Geschichte über das Geschichten-Erzählen erzählen.
Dass ich im Nebenjob als Agrarjournalist Geschichtenerzähler bin, ist logisch. Ich recherchiere, befrage und bringe die Puzzleteile in Form einer Geschichte zusammen. Dafür werde ich schliesslich bezahlt.
Aber auch als Landwirt wird mir immer mehr bewusst, wie wichtig die Geschichte zum Produkt ist. Die Konsumentinnen und Konsumenten, mit denen ich über unsere Erzeugnisse spreche, interessieren sich nämlich oft nicht in erster Linie für das Produkt selbst. Ein Gespräch handelt selten davon, ob das Rindfleisch, die Kartoffeln oder Süsskartoffeln sehr gut schmecken und gesund sind. Das wird schlicht und einfach vorausgesetzt. Zu sprechen kommt man eher auf die Geschichte hinter dem Lebensmittel. Und das ist manchmal ganz schön anstrengend.
Mit einem Produkt den Planeten retten?
Einige haben das Geschichten-Erzählen perfektioniert. Ein Beispiel aus der Praxis (mit geändertem Produktenamen):
«Dingsbums ist Lebensmittel, Anbausystem und solidarisches Marktmodell in einem. Mit jedem Biss förderst du eine für den Menschen und unseren Planeten gesunde und resiliente Ernährungskultur.»
Ich muss also nur den Mund öffnen, Dingsbums reinschieben und rette dabei den Planeten? Voll geil, hört sich gut an. Zu gut. So gut, dass es manchmal Brechreiz bei mir auslöst. Und es wäre ja nicht besonders nachhaltig, irgendeine Speise wieder zu erbrechen. Ich denke nicht, dass das der Sinn von Kreislaufwirtschaft wäre. Erbrochenes isst niemand mehr, auch nicht mit einer guten Geschichte dazu.
Mir scheint, man kann über praktisch jedes Produkt eine prächtige Geschichte erzählen: Schweinefleisch aus einem 13-stöckigen Hochhaus in China? Unschlagbar platzschonende Produktion, die einen enorm wichtigen Beitrag zum Erhalt der natürlichen und endlichen Ressource «Boden» beiträgt und den Tieren die grosse Freude des Fahrstuhl-Fahrens ermöglicht.
Vereinfachen und Ausblenden nervt
Ich finde es besonders dann mühsam, wenn die Geschichte zum eigenen Produkt so erzählt wird, dass man sich von allen anderen – primär von der konventionellen Landwirtschaft –abheben will und sich selbst als in allen Bereichen überlegen darstellt. Diese Vereinfachung, dieses Ausblenden, dass jedes Produkt und jedes System sowohl Vorteile als auch Nachteile hat, nervt mich. Denn jede Geschichte liesse sich auch anders erzählen, zum Beispiel so:
«Dingsbums ist ein Lebensmittel. Es ist teurer als vergleichbare Lebensmittel, und das vor allem auch deshalb, weil jemand sich intensiv damit beschäftigt hat, dieses Produkt in eine schöne Geschichte, basierend auf wahren Gegebenheiten, zu verpacken.
Auch der Rest der Verpackung ist etwas aufwändiger gestaltet, und die Worte ‘nachhaltig, vegan und fair’ gibt’s auch nicht ganz gratis dazu. Auch die Zertifzierungsstelle muss gelebt haben.
Danke, dass sie mit dem Kauf dieses Produktes auch vielen Menschen ausserhalb der Landwirtschaft eine Arbeit ermöglichen.»
Es macht mir Freude, ein gutes Produkt herzustellen, hinter dem ich stehen kann. Auch schreibe ich gerne Geschichten. Nur immer noch eine Geschichte zu meinem Produkt erzählen zu müssen, das bereitet mir manchmal etwas Mühe.
Hagenbuchs Randnotizen
Sebastian Hagenbuch ist Landwirt und Agronom. Er bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Betrieb mit zwei Standorten in Rottenschwil und Unterlunkhofen im Kanton Aargau.
Hagenbuch erzählt in seiner Kolumne von Alltäglichem und Aussergewöhnlichem, wechselt ab zwischen Innen- und Aussensicht, immer mit kritischem Blick und einem Augenzwinkern.