Die Produzenten befinden sich in einer ausserordentlichen: Situation. Wieso sind Pflanzkartoffeln dieses Jahr so rar?

Ruedi Fischer: Die Ernte 2023 fiel für Kartoffeln insgesamt sehr tief aus, aber besonders für Pflanzkartoffeln. Die Semag hatte einen Durchschnittsertrag von 12,4 Tonnen pro Hektare. Zu den tiefen Erträgen kam noch die schlechte Qualität. Im Virustest gab es zahlreiche Abweisungen. Wenn über 10 % der Pflanzkartoffeln viruserkrankt sind, können sie nicht als Pflanzgut verwendet werden.

Heisst das, wir müssen mehr Pflanzgut importieren?

Das müssten wir, wenn wir könnten. Aber unsere ausländischen Kollegen in Holland, Deutschland und Frankreich hatten leider auch nicht bessere Erträge. Das Pflanzgut ist bereits ausverkauft. Selbst wenn wir Schweizer mehr bezahlen würden, bekommen wir nicht mehr. Es ist keine Preisfrage, sondern eine Verfügbarkeitsfrage. Für 11 000 Hektaren Anbaufläche brauchen wir etwa 27 000 Tonnen Pflanzgut. Bisher haben Schweizer Saatzüchter etwa 20 000 Tonnen davon selbst produziert.

Im Jahr 2024 werden es aber nicht 5000 Tonnen sein, sondern eher über 10 000 Tonnen, die wir importieren müssten. Aber eben, im Ausland hat es auch kein Kartoffel-Pflanzgut mehr.

Welche Sorten sind am stärksten vom Pflanzgut-Mangel betroffen?

Agria, Markies, Fontane und Innovator sind am stärksten betroffen. Also vorwiegend Pommes frites-Sorten. Bei den Speisesorten könnte die Nachfrage nach Pflanzgut wohl knapp gedeckt werden.

Gibt es also bald keine Schweizer Pommes frites mehr?

Das würde ich so nicht sagen, die Ernte 2024 wird es zeigen. Das Wetter wird entscheiden, ob wir genügend Schweizer Kartoffeln haben werden oder nicht. Denn wenn dieses Jahr vom Wetter her alles passen würde, dann können wir auch mit ein paar hundert Hektaren weniger Anbaufläche eine ausreichende Kartoffelversorgung gewährleisten.

Die Nachfrage insgesamt, aber besonders nach Frites-Kartoffeln, ist gut. Ich kann mir vorstellen, dass wir selbst bei einer guten Ernte keine Überschüsse an Schweizer Frites haben werden.

Die Situation ist ausserordentlich. In der Corona-Zeit mussten die Kühe helfen, die Restmengen an Kartoffeln zu verwerten und jetzt haben wir zu wenig.

Was können ProduzentInnen tun, um doch noch zu Pflanzgut zu kommen?

In der Branche haben wir in den letzten Wochen viel diskutiert und es braucht von allen Seiten viel Flexibilität und Solidarität. Diejenigen, die noch kein Pflanzgut bestellt haben, bekommen aktuell wohl nicht mehr ihre Wunschsorte. Deshalb ist es wichtig, dass das vorhandene Pflanzgut optimal genutzt werden kann. Dazu hat die Branche folgende Massnahmen vorgeschlagen:

  • Bleiben nach der Pflanzung noch Restmengen übrig, sollen diese an andere Betriebe weitergegeben werden. Es soll möglichst alles vorhandene Pflanzgut in den Boden kommen.
  • Vor der Pflanzung sollen unbedingt die Anzahl Knollen pro 100 kg der verschiedenen Pflanzgutposten bestimmt werden. Die Anzahl Knollen pro 100 kg kann je nach Sorte und Kaliber sehr unterschiedlich sein.
  • Die Pflanzdistanzen sollen insbesondere bei den Frites-Sorten um 10 bis 15 % erhöht werden, damit möglichst viel Fläche bestellt werden kann.

Die Rückfuhr von Restmengen nach der Pflanzung wird logistisch herausfordernd werden. Aber es ist wichtig, dass Restmengen gemeldet werden, um das vorhandene Pflanzgut sorgfältig zu nutzen und alle ProduzentInnen zu versorgen.

Bei Frites-Sorten kann die Pflanzdistanz problemlos erhöht werden, aber natürlich nicht endlos. Wir haben früher auf 28 cm gepflanzt und pflanzen heute auf 30 cm Abstand, was funktioniert.

Wir haben noch darüber diskutiert, die Kartoffeln zu halbieren. Aber dort muss alles passen mit der Desinfektion, sonst hat man später mehr Probleme als Nutzen. Deshalb empfehlen wir diese Massnahme eher nicht.

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Wie ist die Stimmung bei den ProduzentInnen?

Die Anbaubereitschaft für Pflanzkartoffeln ist zurückgegangen und wir müssen Produzentenverluste verzeichnen. Früher musste man sich für den Pflanzkartoffel-Anbau noch bewerben – heute kann man sofort beginnen. Die Produzentenpreise für Pflanzgut wurden 2022 erhöht, bei Agria zum Beispiel von 82.– auf 110.– Franken pro 100 kg. Die Preiserhöhung war dringend nötig, aber das nützt den ProduzentInnen leider wenig, wenn sie dann schlechte Erträge und Qualitäten erreichen.

Die Jahre 2021 bis 2023 waren aufgrund der Wetterverhältnisse wirklich schwierig. Anfang 2023 habe ich gesagt, ich wünsche mir nach zwei schlechten Jahren wieder mal ein gutes. Aber jetzt haben wir drei schwierige Jahre mit unterdurchschnittlichen Erträgen hinter uns. Deshalb habe ich grossen Respekt vor dem Jahr 2024. Der Kartoffelanbau ist die Königsdisziplin – er kann interessant sein, ist aber kapitalintensiv und mit hohem Risiko verbunden.

Nun wird es wirtschaftlich brisant. 2023 gab es viele ProduzentInnen, die ihre Anbaukosten nicht decken konnten. Die Preiserhöhung für Pflanzgut war dringend notwendig, um die Anbaubereitschaft zu erhalten. Die Kosten für den Kauf von Pflanzgut stellen mittlerweile einen grossen Teil der Anbaukosten generell dar.

Deshalb ist es möglich, dass einige ProduzentInnen einen Teil des Pflanzgutes für 2025 selbst erneuern wollen. Da ist aber grosse Vorsicht geboten, denn dies kann zu sehr grossen Ertragsausfällen führen, wenn das Pflanzgut nicht gesund ist.

Wie reagieren Branche und Abnehmer auf diese Situation?

Zukünftig werden wir mit weniger Anbaufläche eine höhere Kartoffelmenge produzieren müssen. Deshalb sind wir intensiv im Gespräch mit den Abnehmern über die Qualitätsanforderungen an Speisekartoffeln.

Die Anforderungen bezüglich äusseren und inneren Qualitätsmerkmalen sollen gelockert werden, damit insgesamt weniger Chargen zurückgewiesen werden müssen. So soll erreicht werden, dass mehr Mengen an Kartoffeln verwertet werden können.

«In dieser Situation braucht es Flexibilität von allen Seiten.»

Doch dies sind keine einfachen Verhandlungen, da jeder Verarbeiter eine möglichst gute Produktequalität anbieten möchte. Ausserdem heisst es oft, dass für qualitativ schlechtere Chargen tiefere Preise gezahlt werden sollen. Doch das muss unabhängig betrachtet werden. Die Branche setzt sich für höhere Produzentenpreise ein, um kostendeckend produzieren zu können.

Aber der Wille ist mittlerweile da, die Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Der Zusammenhalt ist stärker spürbar als noch vor ein paar Jahren.

Es braucht einfach insgesamt mehr Flexibilität und Toleranz von allen Beteiligten.

Wie sehen Sie die Zukunft der Schweizer Kartoffelproduktion?

Die Kartoffel ist im Trend. Der Konsum wird noch stärker ansteigen, was motivierend ist. Aber die Lage ist wirklich ausserordentlich und hat sich insgesamt zugespitzt. Einerseits ist die Nachfrage nach Kartoffeln erfreulich hoch und andererseits hatten wir in den letzten drei Jahren schlechte Erträge und gleichzeitig noch Produzentenverluste.

Von der Produktionsseite her denke ich, müssen wir uns auf mehr Ertragsausfall-Jahre gefasst machen. Früher sagte man, dass es in acht Anbaujahren ein bis zwei Ausfalljahre geben kann. Zukünftig wird es wohl eher ein Ausfalljahr von fünf sein.

«Auf politischer Ebene dürfen zukünftig nicht noch mehr Hilfsstoffe gestrichen werden.»

Man muss auch erwähnen, dass die schlechten Jahre bisher vor allem dem Wetter und weniger der Politik geschuldet waren. Die angekündigten Anforderungen an Pflanzenschutz und Düngung machen uns jedoch Sorgen, womit neben dem Wetter zusätzlich politische Herausforderungen auf uns zukommen.

Was braucht es Ihrer Meinung nach, um die Schweizer Kartoffelproduktion sichern zu können?

Auf Produktionsseite brauchen wir marktfähige robuste Kartoffelsorten. Da sind wir gemeinsam in der Branche daran. Weiter müssen Möglichkeiten zur Bewässerung und deren Technik ausgebaut werden.

Auf politischer Ebene dürfen zukünftig nicht noch mehr Hilfsstoffe gestrichen werden. Gerade bei der Drahtwurmbekämpfung sind wir aktuell machtlos. Auch die chemische Krautvernichtung wird zunehmend eingeschränkt. Solche Massnahmen erschweren den Anbau zusätzlich. Wenn wir da keine Alternativen haben, wird schliesslich die ganze Wertschöpfungskette bis zum Konsumenten betroffen sein.

Auf Abnehmer- und Verarbeiterseite braucht es mehr Toleranz bei der Warenannahme. Damit beispielsweise weniger Posten wegen optischen Mängeln wie Schorf oder Drahtwurmlöchern zurückgewiesen werden. Das sind nicht einfache Verhandlungen. Dasselbe gilt für die Konsumenten beim Kauf der Ware. Dort sieht die Realität am Sonntag bei der Abstimmung oft anders aus als am Montag vor dem Regal.

Es sind also alle gefordert, sowohl die Produzenten als auch Konsumenten, Verarbeiter und die Politik. Ich bin zuversichtlich, dass die schönste Ackerkultur, der Kartoffelanbau, in der Schweiz auch weiterhin attraktiv bleibt. Dazu müssen wir die Herausforderungen gemeinsam angehen.

Zur Person
Ruedi Fischer ist seit 2007 Präsident der Vereinigung Schweizerischer Kartoffelproduzenten und selber Kartoffelproduzent. Mit seinem Bruder Samuel und einem Lehrling bewirtschaftet er einen Milchvieh- und Ackerbaubetrieb in Bätterkinden BE.

Dazu gehören 65 ha LN, 75 Milchkühe, ein Melkroboter, 14 ha Kartoffeln, Getreide, Konsumerbsen und Mais. Zudem wird mit einer Biogasanlage, Photovoltaik und mit einem Kleinwasserkraftwerk Strom produziert.