Kurz & bündig
- In Almería (Südspanien) wird auf 36'000 ha in Gewächshäusern Gemüse angebaut.
- Viele Produzenten setzen auf Nützlinge und brauchen kaum Pestizide.
- Die meisten der andalusischen Gemüse-Betriebe sind Familienunternehmen.
- Dank Entsalzungsanlagen kann Meereswasser zur Bewässerung verwendet werden.
- Vor dem Gemüse-Boom war Almería eine verarmte Wüstengegend.
Es ist Anfang März 2020. Der Car mit der Gruppe der Agrarmedien-Leserreise fährt von Malaga nach Roquetas de Mar, der Stadt im Epizentrum der Gewächshäuser der Region Almería.
Je näher wir diesem Zentrum kommen, umso häufiger sehen wir Gewächshäuser. Mehrheitlich aus Plastik, seltener aus Glas. Mit der Zeit sieht man nur noch Gewächshäuser. Gewächshäuser auf Felsvorsprüngen (die Region ist eine der gebirgigsten von ganz Spanien), Gewächshäuser am Meer, Gewächshäuser an der Autobahn.
Kaum ein Quadratmeter Land, der nicht für die Gemüseproduktion genutzt wird. 36'000 Hektaren Land beanspruchen die Gewächshäuser in Almería. Der weisse Fleck ist gar vom Weltall aus sichtbar. Dort wird das Gemüse für ganz Europa produziert – überwiegend von Herbst bis Frühling, denn im Sommer sind die Produktionsbedingungen auch in anderen, kühleren Gebieten gut. Diese Periode wird in Almería genutzt, um die Gewächshäuser auszubessern, alte Kulturen abzuräumen und neue anzupflanzen.
Das erzählte uns Christian Stielike, ein Schweizer, der Führungen für deutschsprachige Reisegruppen auf dem Betrieb Clisol von Lola Gomez Ferron anbietet. Auf dem 2,5 ha grossen Betrieb werden Tomaten, Peperoni und Gurken produziert.
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Im Gewächshaus ist biologische Schädlingsbekämpfung billiger als Pestizide
«Habt ihr in Almería nicht einen immensen Pestizid-Einsatz?», will jemand aus der Gruppe wissen. «Hatten wir», sagte Stielike. Mittlerweile würden über 90 Prozent aller Betriebe auf biologische Schädlingsbekämpfung setzen und gänzlich ohne Pestizide produzieren.
Dies aber keineswegs aus Idealismus: In den komplett geschlossenen Gewächshäusern funktioniert die biologische Schädlingsbekämpfung sehr gut und ist sogar günstiger als der regelmässige Einsatz von Insektiziden. Zudem entfällt so die Problematik mit Pestizid-Rückständen auf dem Gemüse.
Es darf jedoch ergänzt werden, dass nicht alle Betriebe wie Clisol bereits seit 20 Jahren auf biologische Schädlingsbekämpfung setzen: Bei den meisten brauchte es den Druck der EU (als Folge von Problemen mit Pestizid-Rückständen im Gemüse), damit ein Umdenken stattgefunden hat.
Obwohl auch kaum Herbizide und Fungizide zum Einsatz kommen: Biologisch ist die Produktion nur in den allerwenigsten Fällen. Die meisten Gemüsekulturen werden Hors-sol gezogen, Biogemüse muss auf «echtem» Boden wachsen.
Herbizide erübrigen sich aufgrund der Hors-sol-Produktion. Fungizide braucht es nicht, weil die Pflanzen in den gedeckten Gewächshäusern und im für den Gemüsebau idealen Klima nie feucht werde. So können sich Pilze gar nicht erst ausbreiten.
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Wasser ist in Andalusien kostbar und ein grosser Kostenpunkt
Eine grosse Herausforderung in der wüstenähnlichen Region ist die Versorgung der Gemüsekulturen mit Wasser. Hier kommt heutzutage flächendeckend die Tröpfchen-Bewässerung zum Einsatz. Alles andere würde den wirtschaftlichen Ruin für die Erzeuger bedeuten. Schliesslich ist der Wasserbezug ein grosser Kostenpunkt für die Produzenten.
Auch die Düngung erfolgt meistens flüssig über die Tröpfchen-Bewässerung. Überschüssiges Wasser wird zurückgewonnen und erneut zur Bewässerung verwendet.
Auch das (spärlich anfallende) Dachwasser wird gesammelt. Wasser ist wertvoll und teuer, entsprechend sorgsam ist der Umgang damit.
Dennoch überstieg der Wasserbedarf der Gemüseproduzenten in Almería in den letzten Jahren bei Weitem die Menge, die von der Sierra Nevada in die unterirdischen Seen und Flüsse nachgeliefert wurde. Die Produktion zu drosseln war keine Option.
Man suchte eine andere Lösung: Den Bau von Entsalzungsanlagen, um Meerwasser für die Bewässerung verwenden zu können. In ganz Spanien gibt es über 900 solcher Anlagen.
Damit ist das Problem Wasserversorgung zwar entschärft. Dass die Süsswassergewinnung aus dem Meer aber extrem energieintensiv ist (und dabei in der Sonnenstube Europas nicht etwa auf Solarenergie gesetzt wird), ist ein anderes Thema.
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Illegale Arbeiter und brutale Arbeitsbedingungen in den Gewächshäusern?
Wer nach Gewächshäusern und Almería googelt, stösst auf einen weiteren Begriff: Sklavenarbeit. Tatsächlich sind die Arbeitsbedingungen – wie in der Landwirtschaft üblich – hart, und es wurde viel in den Medien über vorherrschende Missstände berichtet.
Diese Missstände gibt es ebenso wie Schwarzarbeit. Christian Stielike von Clisol erklärt, dass in ihrem Betrieb nur Angestellte mit Arbeitsbewilligung arbeiten. Bei Clisol wie bei vielen anderen Produzenten kommt es aber vor, dass Flüchtlinge, welche in Booten von der nordafrikanischen Küste nach Spanien gelangt sind, vor der Tür stehen und um Arbeit flehen.
Stielike gibt zu bedenken, dass die Gemüseproduzenten nicht nach illegalen Arbeitern suchen und diese nach Spanien locken. Es gibt genügend legale Arbeiterinnen und Arbeiter. Durch den enormen Preisdruck und die generelle Flüchtlingskrise seien aber Strukturen geschaffen, welche Schwarzarbeit und Ausbeutung von Angestellten überhaupt erst ermöglichen. In dieser Sache allein den Gemüseproduzenten die Schuld zu geben, ist für Christian Stielike ein-deutig zu kurz gegriffen.
In Almería arbeiten Kleinbetriebe, die sich auf wenige Gemüsesorten spezialisiert haben
Die 36'000 Hektaren Gewächshausfläche werden von rund 16'000 Kleinbauern bewirtschaftet. Die meisten sind also kleinere Familienbetriebe. Üblich ist eine Spezialisierung auf zwei bis drei Gemüsesorten. Vertrieben wird das Gemüse dann meist über lokale Genossenschaften.
Gemüse aus Spanien geniesst hierzulande nicht nur wegen der umstrittenen Produktion keinen allzu guten Ruf: Auch der Geschmack ist oft dürftig bis nicht vorhanden. «Kein Wunder», meint Christian Stielike. «Das Gemüse muss aufgrund der langen Transportwege unreif geerntet werden. Es fehlen entscheidende Sonnenstunden und die Züchtung bevorzugt ebenfalls Aussehen vor Geschmack.» Auch sei in Spanien das Bewusstsein für geschmacklich gutes Gemüse nicht wirklich verankert. Auch hier gilt: Hauptsache, es sieht gut aus.
Zum Schluss der Führung gibt es frisches Gemüse von Clisol. Es schmeckt – Überraschung – tatsächlich, wie Gemüse schmecken sollte: Nach Gemüse.
Almería
Almería ist eine von acht Provinzen von Andalusien, Südspanien. Gleichzeitig ist Almería auch der Name der Hauptstadt der Provinz. Rund 200'000 Menschen leben in der Stadt.
Es liegt auf der Hand, dass die Gewächshausproduktion der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig der Region ist. Das wüstenähnliche, warme und trockene Klima ist ideal für die Gemüseproduktion, da unter der Erde verborgen ein System aus Grundwasser-Seen und unterirdischen Flüssen liegt, welche aus der Sierra Nevada gespeist werden.