Auch wer Chur nur vom Vorbeifahren auf der Autobahn kennt, kennt ihn: den grossen Betonturm der Rheinmühle, dem die aufgemalten Hände immer mal wieder ein neues Bild entreissen. Gleich daneben betreibt Andreas Mehli seinen Landmaschinenhandel.[IMG 2]

Hier und auf dem elterlichen Hof auf der anderen Seite der weiten Landflächen im Talboden zwischen der Stadt und der Autobahn will er alles zeigen und erforschen, was ein Bauernhof zur Energiewende beitragen kann.

Mehli macht landwirtschaftliche Kreislaufwirtschaft

«Ein Hof kann mehr als Nahrungsmittel produzieren», erzählt Andreas Mehli. «In der neuen Energiewelt bekommen Bauern eine zusätzliche wichtige Rolle.» Die grossen Dächer von Wohn- und Ökonomiegebäuden eignen sich ideal für Solaranlagen.

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Jene auf den Gebäuden der Familie Mehli sehen seit Jahren alle Bahnpassagiere, kurz bevor der Zug in den Bahnhof Chur einfährt. Auch der Betonturm der Rheinmühle, der den Grüninger Mühlen gehört, soll auf der nicht bemalten Süd- und Westseite grosse Solaranlagen erhalten.

Die fahrbaren Ställe, in denen Andreas Mehli Freilandhühner hält, tragen eine eigene PV-Anlage. Sie liefert Energie für Beleuchtung und Lüftung und macht so die Ställe energie-autark.

Der nächste Schritt ist Biogas aus Gülle, Mist und Ernteabfällen. Andreas Mehli geht aber noch weiter: «Aus den Resten der Biogasproduktion können wir wieder festen Dünger herausholen. Das könnte in der Schweiz viele tausend Tonnen mineralischen Stickstoffdünger substituieren, der bisher mit billiger fossiler Energie hergestellt und komplett importiert wird.»

Andreas Mehli hat auch eine Lösung für den Klärschlamm aus der nahen Kläranlage. Der wird heute grösstenteils energieintensiv getrocknet und bestenfalls in den Zementwerken verwertet. Das Problem ist, dass der Phosphor dadurch vernichtet wird. Doch das Material lässt sich im so genannten HTC-Prozess (High Temperature Carbonisation Process) zu Pflanzenkohle verwandeln. Er läuft bei 200 Grad Temperatur und 20 bar Druck ab.

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Dank Pflanzenkohle keine Phosphor-Vernichtung mehr

«HTC ist genau derselbe Prozess wie in der Natur – einfach viel schneller», erklärt Andreas Mehli. Und Pflanzenkohle ist eines der wichtigsten Elemente in der Energiewende: Mit ihr lässt sich über die Photosynthese CO2 aktiv auch aus der Atmosphäre entfernen, indem das Klimagas in der Kohle gebunden wird.

Das grösste Potenzial dabei ist die Einlagerung im landwirtschaftlichen Boden. Ein guter Teil bleibt langfristig im Boden gespeichert und verbessert und regeneriert den Boden. Denn die feinen Poren der Pflanzenkohle können Wasser und Nährstoffe sehr lange speichern. Dadurch bringen Böden grössere Erträge und trocknen weniger schnell aus.

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Vor allem diese Wasserspeicher-Eigenschaft wird in einem sich erwärmenden Klima immer wichtiger – sowohl um das Wasser länger zu halten, wie auch um grosse Wassermengen aus sehr kurzen, sehr starken Regenfällen aufnehmen zu können.

Zudem gibt es eine Lösung, Phosphor aus der Pflanzenkohle herauszulösen. Dadurch wäre es möglich, diesen als Düngemittel wieder ohne die im Klärschlamm enthaltenen Antibiotika, Hormone und Schwermetalle wieder in den Landwirtschaftskreislauf zu bringen. Dadurch liessen sich jährlich bis 6000 Tonnen teils Schwermetall-belasteten Phosphor-Dünger aus Marokko ersetzen.

Hier geht es nicht nur um Kreislaufwirtschaft, sondern vor allem auch um Versorgungssicherheit. 70 Prozent der weltweiten Phosphat-Vorkommen für die Produktion von mineralischen Düngern liegen in Marokko. Politische Instabilität im Maghreb könnte die weltweite Versorgung mit Nahrungsmitteln noch viel stärker beeinträchtigen als Russlands Angriff auf die Ukraine. Da liegt es nahe, die Phosphor-Quellen im eigenen Land zu suchen.

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Der Bauer soll das Biogas nur auffangen

All das will Andreas Mehli in Lebensgrösse auf seinem «Mehli Inno-Park» demonstrieren. Die Gebäude rund um den Rheinmühle-Turm sind voll mit Equipment, Rohren, Pumpen, Pressen. Mal hat etwas funktioniert, mal halbwegs, mal gar nicht.

Und da, wo es nicht funktioniert hat, nimmt er mit seinem Team einen neuen Anlauf, oft gemeinsam mit Fachhochschulen wie der ZHAW, FHNW oder die FHGR. Und selbst ein Wasserkraftwerk gibt es. Angetrieben durch den Churer Mühlbach, erzeugt eine kleine Turbine Strom.

Wichtig ist Andreas Mehli dabei, nicht nur die verschiedenen Technologien zu zeigen und auszuprobieren, sondern auch zu zeigen, was für welchen Zweck funktioniert und was nicht – und das möglichst vielen Leuten.

«An einem schönen Wochenende spazieren bei mir bis zu 2000 Menschen durchs Areal. Sie sollen wissen, was man alles mit weitgehend bestehenden Mitteln und Technologien erreichen kann. Biomasse ist gespeicherte Energie und liegt vor unseren Füssen.»

Wichtig ist es aber auch, die Grenzen zu kennen. Eine komplette Biogasanlage mit Stromerzeugung und Wärmenutzung kommt für acht von zehn Bauern nicht in Frage. Sie können die Energie nicht selber brauchen, für die Leistung der Anlage müssten sie eine neue Stromleitung bauen und Abnehmer für die Fernwärme sind auch nicht in der Nähe.

«Der einzelne Bauer hat seinen Dienst an der Energiewende getan, wenn er das Biogas auffängt», findet Andreas Mehli. Auch dafür hat er eine Demonstrationsanlage – einen grossen, prallen Kunststoffsack, der einen kompletten Überseecontainer füllt.

Ein Gastanklastwagen mit einer Gaskompressionsanlage könnte dann wöchentlich vorbeikommen, das Gas absaugen und zu einem nahegelegenen zentralen Fernwärmelieferanten bringen. Die sind oft gleich um die Ecke und können Strom und Wärme komplett nutzen.

Die Stadt Chur steckt in den nächsten Jahren 80 Millionen Franken in den Ausbau der Fernwärme und wird jedes Kilowatt an erneuerbarer Energie abnehmen.

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Doppelter Effekt mit dem Abfangen des Biogases

Das Abfangen des Gases hat ökologisch gleich zwei Effekte: Das Biogas ersetzt fossile Brennstoffe. Gleichzeitig wird verhindert, dass dieses in die Atmosphäre entweicht, zumal Methan die 30-fache Klimaschädlichkeit von CO2 hat.

Damit das klappt, muss der Bauer allerdings zum Mist und zur Gülle Sorge tragen. Das Material muss möglichst frisch in einen geschlossenen Güllenkasten gelangen und sollte nicht wochenlang offen liegen bleiben, wie auf den alten Miststöcken. Denn sonst entweicht ein grosser Teil des Kohlenstoffs in Form von Methan- und Lachgasverbindungen.

Im Freilaufstall der Familie Mehli fährt deshalb permanent ein Mistroboter zwischen den Kühen herum, der den Mist zum Güllenkasten bringt. Von dort wird die Gülle tagesfrisch in einen Biogasfermenter gepumpt und das Gas danach gespeichert und verstromt. Ein Pilotprojekt soll aufzeigen, wie das Gas zum nächsten Verbraucher transportiert werden könnte, ähnlich wie die klassischen Milchsammeltouren.

Dieser «Gas-only»-Ansatz reduziert den Investitionsbedarf für die einzelnen Bauern massiv und bringt gleichzeitig mehr Biogas in grosse, effiziente Blockheizkraftwerke (BHKW). Denn: «Jeder Bauernhof ist eine Batterie, und zwar ein Saisonspeicher», sagt Andreas Mehli. «Wir ernten im Sommer das Futter, lagern es ein und im Winter machen wir daraus neben Lebensmitteln auch Strom, Wärme, Dünger und Pflanzenkohle. Das Potenzial dieser Batterien in der Schweiz ist gigantisch. Jetzt brauchen sie nur noch einen Netzanschluss.»

Den Anfang hat er gemacht. Neben Traktoren und Kreiselheuern kaufen Bauern bei ihm mittlerweile auch Fermenter und kompakte Holzvergaseranlagen. Wie selbstverständlich ergänzen nun die Energieanlagen das Landmaschinengeschäft. Und immer mehr Leute, die den grossen farbigen Turm von der Autobahn aus sehen, fahren nicht mehr vorbei.

Betriebsspiegel Kuhrerhof

Stallgemeinschaft: Andreas Mehli, Christian Mehli und Andreas Eggenberger, Chur GR
LN: 36 ha
Bewirtschaftung: IP Suisse
Kulturen: Getreide, Mais, Kunstwiese (in ÖLN-Gemeinschaft)
Tierbestand: ca. 200 Milchkühe (und Nachzucht), 1200 Freilandhühner in mobilen Ställen
Betriebszweige: Milchkühe, Label-Kalbfleisch, Hühner, Indoor-Gemüse und Energie