Es passierte im Sommer, als wir mit der Familie unterwegs waren. Seit zwanzig Jahren arbeite ich als Agrarjournalist. Längstens hatte ich es aufgegeben, meine Kinder für
Mähdrescher, Weizenfelder oder Gewächshäuser zu begeistern. Mit meiner Faszination für die Landwirtschaft sollte ich wohl für immer und ewig alleine bleiben. Bis plötzlich diese Frage kam: «Papa, ist das ein Grubber?»

Eigentlich kaufte ich die CD mit dem Landwirtschafts-Simulator 17 für mich. Aus Neugier, aber auch, weil ich mich beruflich in das Thema einarbeiten wollte. Die CD mit dem Simulations-Computerspiel blieb jedoch liegen, aus Zeitgründen und weil ich als «Digital Immigrant» bis dahin den Zugang in die Game-Welt nicht finden konnte. Ganz im Gegensatz zu meinen beiden Söhnen Moritz und Linus (11 und 13 Jahre alt). Die Jungs bauten sich mit der Playstation schon lange in Minecraft aus Würfeln virtuelle 3D-Welten oder spielten im FIFA-Game als Fussballstars gegeneinander.

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Das Spielprinzip

Der Spieler startet im Landwirtschafts-Simulator (LS) mit wenigen Traktoren und Geräten auf seinem Bauernhof, den er mit Tierhaltung und Pflanzenbau  bewirtschaftet. Den Erlös investiert der Spieler wie im «Real Life» in Landtechnik, weitere Tiere und Saatgut. Der Landwirtschafts-Simulator kennt verschiedene Schwierigkeitsgrade. Zudem können mehrere Spieler gemeinsam einen Betrieb bewirtschaften. Neben der LS-Grundausstattung kann man mit Spielerweiterungen
(Mods) neue Elemente einbringen – z.B. Landschaften und Geräte.

 

Einblick in die Landwirtschaft

Ein Schulfreund von Linus zeigte ihm erstmals am Bildschirm, wie man mit einem gewaltigen Fendt-Traktor einen virtuellen Acker pflügt. Beim Anblick der grossen Landmaschinen machte es Klick im Kinderhirn. Linus durfte den von der Fangemeinde kurz als LS bezeichneten Landwirtschafts-Simulator auch bei uns installieren. Seither wird am Familientisch über die Landwirtschaft diskutiert: Welche Kulturen soll ich anbauen? Soll ich diese Maschine mieten oder kaufen? Soll ich die Ernte sofort verkaufen oder lagern? Und natürlich lacht mein Herz, wenn mein Sohn nun auch in der realen Welt ein Zuckerrüben- oder Weizenfeld von Weitem erkennt.

An der Agritechnica in Hannover begegnete ich dem Landwirtschafts-Simulator wieder: Bei der «Farming Simulator Championship» mussten zwanzig Strohballen in zehn Minuten auf dem Feld gepresst und auf einem Anhänger gestapelt werden. Ein Vater und seine zwei Söhne machen sich vor der riesigen Leinwand bereit für den Wettkampf. Wohl etwas nervös vor dem Publikum scheitern sie kläglich und scheiden aus. «Eigentlich sollte das zu schaffen sein», findet Martin Rabl, Marketing- und PR-Manager der Schweizer Softwarefirma GIANTS, die den Landwirtschafts-Simulator programmiert. «Das Stapeln von Strohballen konnten die Spieler zu Hause auf dem Bildschirm trainieren. Einige haben sich sogar ein Maisfeld selbst zusammengebaut.»

Landtechnik-Branche ist präsent

Erfahrene Spieler können mit dem GIANTS-Editor eigene Landschaften, Geräte oder Gebäude bauen und anderen Spielern zur Verfügung stellen. Das Game ist bewusst offen für solche Erweiterungen. Sie sind ein Grund dafür, dass die globale Landwirtschafts-Simulator-Gemeinschaft mittlerweile sehr gross ist. Weil sich die Spieler nicht registrieren müssen, weiss aber nicht einmal GIANTS, wie viele LS-Spieler es gibt. «Wir wissen nur, dass wir bis jetzt fast 10 Millionen Games verkauft haben», sagt Rabl. Der innerhalb der Game-Szene thematisch eher exotische Landwirtschafts-Simulator behauptet sich seit Jahren erfolgreich inmitten von Fantasy- und Kriegs-Spielen. Die Landtechnik-Branche hat den LS längstens für sich entdeckt. Die Spieler können sich mit im Spiel «verdientem» Geld Traktoren, Mähdrescher und Spritzen aller namhaften Firmen kaufen. Fendt, John Deere & Co. stellen GIANTS dafür die CAD-Konstruktionsdaten zur Verfügung. «Natürlich können wir nicht jedes Detail übernehmen, weil das Game sonst zu langsam würde», sagt Rabl.

 

Originale Landmaschinen

Im Landwirtschafts-Simulator (LS) sind standardmässig viele originale Landmaschinen und Geräte enthalten. Über 200 Traktoren, Mähdrescher, Sprühfahrzeuge,
Anhänger und Erntemaschinen von über 70 Herstellern und Marken warten auf ihren Einsatz. Von Case IH über Deutz-Fahr und Hürlimann bis Steyr. Erstmals  können 2018 auch die AGCO-Marken Challenger, Fendt, Valtra und Massey Ferguson gefahren werden. Die fiktive Marke Lizard dient dazu, Modelle darzustellen,
die aus lizenzrechtlichen Gründen nicht mit Markennamen genannt werden können.

 

GIANTS hat eigene «Artists» angestellt, welche die Daten grafisch optimieren, die Landtechnik aber trotzdem sehr echt aussehen lassen. Das ist eines der Erfolgsrezepte des LS: Landwirte können sich darin den Traum zum Beispiel vom neuen Fendt Mega-Mähdrescher «Ideal» virtuell verwirklichen. Rabl schätzt, dass bis zu 30 Prozent der LS-Gemeinschaft einen direkten Bezug zur Landwirtschaft haben. Um beim Mähdrescher «Ideal» zu bleiben: Fendt ermöglicht Landwirten mit einer speziellen App virtuelle
Fahrten in den LS-Landschaften.

Viele Landtechnik-Unternehmen lassen eigene Erweiterungen entwickeln – sogenannte Mods – und stellen der Community riesige Maschinenparks zur Verfügung. Produkte-Werbung findet auch in der virtuellen Welt statt. Wobei GIANTS beteuert, dass es sich hier vor allem um Partnerschaften handle. Geld verdient die
Firma mit dem Verkauf der Spiele.

 

Horsch bringt den realen Bauernhof

Als Ergänzung zu den Fantasielandschaften im LS hat die deutsche Horsch Maschinen GmbH eine Erweiterung (Mod) programmieren lassen, die den firmeneigenen
3000 ha-Betrieb AgroVation in Tschechien abbildet. Horsch sieht die Mod als «Brücke zwischen Anwendungen in der virtuellen und der realen Welt». Mit dem LS
werden die Mitarbeiter auf dem eigenen Betrieb geschult, um die Fahrwege sowie die Logistik zwischen den Feldern und den Betriebsstellen zu optimieren. Die Mod von Horsch kann kostenlos im Internet heruntergeladen werden.

 

Wie real darf es sein?

Zurück zu Linus, der an seinem Bildschirm «arbeitet». Mit einem fast schon beruhigend wirkenden, sanften Motorenrattern fährt Linus mit seinem Traktor raus auf den Acker: «Ich muss den Acker pflügen, damit ich den Weizen aussäen kann.» Weil ihm das alles zu langsam geht, beschleunigt Linus die Zeit. Im Spiel geht das. Der Durchschnitts-Gamer hat keine Geduld, wie im realen Bauernleben ein paar Monate zu warten, bis der Weizen reif ist. Nach der Aussaat fährt Linus mit dem Traktor
querfeldein über das Zuckerrübenfeld zurück auf seinen Hof – ohne Spuren zu hinterlassen. In der Realität undenkbar, nutzt Linus diese Abkürzung aus reiner Bequemlichkeit.

Die LS-Community fordert immer wieder, dass schon das Grundspiel realistischer sein sollte. Doch Rabl winkt ab: «Der Landwirtschafts-Simulator soll ein Spiel bleiben». Wenn es zu kompliziert werde, würden viele Spieler aufgeben. Er weist aber darauf hin, dass es für wirklich «Angefressene» optional Mods mit «Extrem-Realismus Features» gibt. Dann würden die Zuckerrüben wie in der Realität kaputtgehen, wenn Linus sie mit seinem schweren Traktor niederwalzt.

Nach getaner Arbeit hängt Linus das Saatgerät im Maschinenunterstand ab. «Wollen wir einmal sehen, wie hoch die Weizenpreise heute sind?». Offenbar sind sie zu tief. Er warte noch ab, er müsse ja nicht gleich neues Saatgut kaufen. Und neue Investitionen in Maschinen seien auch nicht geplant, sagt er. Dafür will mir Linus etwas  anderes zeigen: Die Fotovoltaik-Anlage auf dem Stall-Dach. Dieses Mod habe er erst kürzlich heruntergeladen. «Ist es nicht toll, dass ich jetzt sauberen Solarstrom
produzieren kann?», freut sich mein umweltbewusster Sohn. Wobei – die paar Meter zum Stall ist er nicht zu Fuss gelaufen, sondern mit seinem coolen Pick-up gefahren.

Irgendwie ist der Landwirtschafts-Simulator verdammt realistisch.