Kurz & bündig

- Der Boden ist ein Ökosystem mit eigenen Lebewesen und Vorgängen, die zum Selbstzweck existieren.
- Fruchtbarkeit ist ein menschlicher Anspruch an den Boden.
- Der Mensch kann den Boden fördern, indem er gute Bedingungen für die Lebewesen erhält.
- Den Boden ans Produktionssystem anzupassen geht nur bis zu einem gewissen Mass.

Herr Burgos, was braucht der Boden, damit er fruchtbar ist und bleibt?

Stéphane Burgos: Der Boden will eigentlich nichts. Er ist ein Ökosystem mit eigenen Lebewesen und Vorgängen, die zum Selbstzweck existieren. Wenn der Mensch den Boden für seine Interessen nutzen will, muss er diese Eigenarten schützen und erhalten. Fruchtbarkeit ist ein menschlicher Anspruch an den Boden.

Die «Verordnung über Belastungen des Bodens» definiert Bodenfruchtbarkeit zusammengefasst so: Ein Boden gilt als fruchtbar, wenn die biologisch aktive Lebensgemeinschaft, die Bodenstruktur, der Bodenaufbau und die Mächtigkeit für seinen Standort typisch sind und der Boden eine ungestörte Abbaufähigkeit aufweist.

Diese Definition stellt nicht nur die landwirtschaftliche Produktion ins Zentrum, sondern berücksichtigt mehrere Aspekte. Ein fruchtbarer Boden erfüllt also seine natürliche Funktion, ist aber nicht zwingend landwirtschaftlich sehr ertragreich.

Und wie bringt ein Boden Leistung?

Leistung ist Definitionssache: Es gibt zum Beispiel eine natürliche Fruchtbarkeit, die der Boden ohne Eingriff mitbringt und die unter anderem von der Tiefe abhängt, bis in welche Wurzeln vordringen können. Oder von den Nährstoffen und der Wasserverfügbarkeit.

Es gibt aber auch das Ertragspotenzial, das sich mit zusätzlichen Hilfsmitteln nutzen lässt und das man auch als «Leistung» definieren könnte. Auf landwirtschaftlichen Böden waren die Erträge früher deutlich tiefer.

Deshalb hat man ja mit der Düngung begonnen: Zuerst mit Hofdünger oder Material aus Wäldern oder zum Beispiel mit Guano, dann kam der Kunstdünger dazu. Dabei folgt man seit langem der Prämisse, dass Nährstoffe, die durch die Nutzung entzogen, auch wieder ersetzt werden müssen und dem Ziel, ein Gleichgewicht zu finden.

Was kann der Mensch überhaupt beitragen?

Wir können gute Bodenbedingungen z.B. für die Bodenlebewesen erhalten – man könnte sagen, dass in einem gut gebauten Haus die Bewohner von selbst kommen. Das ist ja das Ziel vieler Anbausysteme: Bodenbedeckung, Zwischenfrüchte, schonende Bearbeitung.

Das führt zu genügend Sauerstoff und Nährstoffen (z.B. Kohlenstoff) für die Bodenlebewesen, diese Prinzipien sind recht einfach. Unter solchen Bedingungen können z.B. Regenwürmer für eine Gefügebildung sorgen.

Wie findet ein Landwirt denn heraus, was sein Boden braucht?

Grundsätzlich ist es so, dass wir das Produktionssystem dem Boden anpassen müssen. Umgekehrt geht es nur bis zu einem gewissen Mass. Auch Korrekturen durch Düngung, Bewässerung oder Aufschüttungen haben ihre Grenzen.

Nach dem zweiten Weltkrieg und mit Aufkommen des Kunstdüngers lag der Schwerpunkt stark darauf, die chemischen Eigenschaften eines Bodens zu kennen und Mängel auszugleichen.

DossierJahresthema 2023Fokus BodenFreitag, 16. Dezember 2022

Hat sich das verändert?

Ja, die chemischen Eigenschaften sind natürlich weiterhin wichtig. Dazu gekommen ist nun, dass die Funktionen angeschaut werden: Wie tief ist mein Boden? Kann er genügend Wasser speichern?

Es gilt, den Ist-Zustand anzuschauen: Gibt es zum Beispiel bereits Bodenverdichtungen? Lösungsmöglichkeiten sind bekannt und zur Umsetzung muss man sich an den Prinzipien orientieren, um gute Bodenbedingungen zu schaffen, wie bereits beschrieben.

Bloss: Das dauert alles recht lange. Schliesslich hat es auch 10'000 Jahre gedauert, bis der Boden entstanden ist. Und Warten ist nicht im Trend.

Und welche der aktuell diskutierten Methoden hilft am meisten?

Die Namen oder Etiketten der einzelnen Methoden sind eigentlich egal, wichtig sind die dahinter stehenden Prinzipien. Natürlich kann man eine ganze Reihe Substanzen applizieren, um den Boden zu verbessern.

Häufig ist es aber sehr schwierig, eindeutige Effekte solcher Substanzen zu messen. Und wenn bei manchen Methoden Effekte messbar sind, hängen sie häufig vom Anfangszustand der Böden ab.

Es fragt sich auch, wie etwas gemessen werden soll und was man misst – also «positive Effekte» auf was genau? Vieles ist eher Vermutung als wissenschaftlich beweisbar und messbar, es gibt viele Fragezeichen und zu wenig Daten.

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«Landwirte sollen Methoden kritisch hinterfragen»

Stéphane Burgos, HAFL

Sind also all diese Methoden unnötig?

Nein, aber sie sind keine Wundermittel. Es gilt, die Prozesse im Boden zu fördern. Vielleicht helfen gewisse Substanzen dabei, aber oft ist es der gesunde Menschenverstand: Bei Erosion muss der Boden bedeckt werden, organische Substanz hilft beim Humusaufbau.

Kann man denn unendlich viel Humus aufbauen?

Nein, es gibt eine Obergrenze. Und je höher der Humusgehalt schon ist, desto schwieriger ist es, mehr zu erreichen. Sinnvoll ist dann, die Menge an organischer Substanz zu erhalten.

Der Aufbau braucht Zeit: Natürlich kann man schnell viel Kompost geben, aber das führt wahrscheinlich nicht zu einem stabilen System. Passiert das langsam – vielleicht sogar über Jahrzehnte – gibt es ein stabiles Gleichgewicht.

Was gibt es sonst noch beim Bodenschutz zu beachten?

Viel ist gesunder Menschenverstand: Einen nassen Boden befährt man nicht – da reicht es, eine Handvoll Erde anzufassen, dafür braucht es keine aufwändigen Messmethoden. Auch die Spatenprobe ist eine sinnvolle Methode.

Technische und digitale Lösungen wie Bewässerungssensoren haben aber ihre Berechtigung, zum Beispiel wenn Wasser so knapp ist, dass ganz exakt bewässert werden muss.

Was raten Sie Landwirten, wenn es um Methoden zur Bodenförderung geht?

Dass sie kritisch hinterfragen, wer ihnen aus welchem Grund wozu rät. Was ist der Mehrwert und funktioniert es in meinem Kontext und auf meinem Standort? Oder muss ich mir eingestehen, gewisse Methoden eher für das gute Gefühl anzuwenden?

Zur Person

Stéphane Burgos (50) hat an der ETH Agronomie studiert und einen Doktortitel erlangt: In seiner Doktorarbeit hat sich Burgos mit der genetischen Analyse von Dinkel befasst, der sehr gut mit feuchten Böden zurechtkommt. Seit 2015 ist er an der HAFL in Zollikofen für die Gruppe «Bodennutzung und Bodenschutz» verantwortlich.