Nach dem Ständerat im Herbst 2023 hat auch der Nationalrat am 4. Dezember 2023 eine Motion von Ständerätin Esther Friedli (SVP/SG)  angenommen, die eine Verschiebung der Einführung von 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf dem Ackerland um ein Jahr fordert.

So wurde im Ständerat und Nationalrat über die 3,5 Prozent Acker-BFF abgestimmt:

  • Der Ständerat stimmte klar mit 30 zu 9 Stimmen (für eine Verschiebung)
  • Der Nationalrat stimmte klar mit 119 Ja-Stimmen (für eine Verschiebung) zu 68 Nein-Stimmen bei 4 Enthaltungen – gegen den Willen von SP, Grünen und GLP.

In der Debatte im Nationalrat sind die Landwirte dem Bundesamt für Landwirtschaft BLW an den Karren gefahren: «Die Anforderungen der 3,5 Prozent Acker-BFF wurden am warmen Bürotisch kreiert – und nicht auf dem Feld», kritisierte der Nationalrat und Landwirt Marcel Dettling (SVP/SZ) das Bundesamt.

«Für die Biodiversität äusserst wertvolle Hecken können nicht angerechnet werden, auch wenn sie direkt am Acker liegen. Auch Untersaaten, Agroforst und Obstbäume werden nicht angerechnet», erklärte Dettling, der im Namen der federführenden Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates WAK-N sprach. Zudem sei noch gar nicht so viel Saatgut für Buntbrachen vorhanden.

Was müssen die Schweizer Landwirte nun für 3,5 Prozent Acker-BFF tun?

Um Direktzahlungen zu erhalten, müssen nun erst ab 1. Januar 2025 (und nicht 1. Januar 2024) alle Landwirtschafts-Betriebe in der Talzone und Hügelzone auf 3,5 Prozent der Ackerfläche zusätzliche Biodiversitätsförderflächen anbauen, ausser sie haben weniger als 3 Hektaren offene Ackerfläche.

In der Zwischenzeit wird das Bundesamt für Landwirtschaft die «Spielregeln» nachbessern müssen. Unter anderem auch mit dem von Bio Suisse vorgeschlagenen Einbezug von Obstbäumen, Hecken und anderen Massnahmen – was das BLW noch im Sommer 2023 abgelehnt hatte (siehe den nachfolgenden Abschnitt «Die unrühmliche Rolle von Bio Suisse im Streit um die 3,5 Prozent Acker-BFF»).

Für Landwirtschafts-Betriebe, welche die neuen 3,5 Prozent Acker-BFF bereits umgesetzt haben, gibt es durch die Verschiebung keine Nachteile. Sie bekommen die Direktzahlungen auf den bereits angelegten Elementen.

Was sind Biodiversitätsförderflächen auf Ackerland?

Als Acker-BFF gelten:

Ackerschonstreifen (extensiv bewirtschaftete Randstreifen in Ackerkulturen)
Nützlingsstreifen auf offener Ackerfläche (ein- oder mehrjährige mit einheimischen Wildblumen und Kulturpflanzen angesäte Biodiversitätsförderflächen im Ackerbau)
Buntbrachen (mehrjährige, mit einheimischen Wildkräutern angesäte Flächen oder Streifen auf Ackerland)
Rotationsbrachen (ein- bis dreijährige Flächen mit eingesäten Ackerwildkräutern, die in die Fruchtfolge integriert werden)
Säume auf Ackerflächen (mehrjährige mit einheimischen Wildkräutern angesäte Streifen auf trockenen bis feuchten Standorten)
Getreide in weiter Reihe (sogenannter «Hasenweizen», für den bei der Ansaat meist zwei von fünf Scharen geschlossen werden, so dass Lücken von mindestens 30 cm entstehen, in denen ackerbewohnende Tiere Nistplätze und Nahrung finden.

Die verschlungenen Wege der Bestimmung für 3,5 Prozent Acker-BFF

Die neue Bestimmung für 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf dem Ackerland geht auf die Parlamentarische Initiative Pa.Iv. 19.475 vom August 2019 und den Absenkpfad Pflanzenschutzmittel zurück, der 2021 im Abstimmungskampf gegen die Pestizid- und die Trinkwasserinitiative versprochen worden war.

Vier Jahre lang stritt man sich danach im Bundeshaus um die 3,5 Prozent Acker-BFF. Zuletzt verschob der Bundesrat die Einführung dieser Bestimmung wegen dem Krieg in der Ukraine vom 1. Januar 2023 um ein Jahr auf den 1. Januar 2024. Eine weitere Verschiebung um ein Jahr wollte der Bundesrat aber verhindern, «weil diese gegen Treu und Glauben verstossen würde», wie Landwirtschaftsminister Guy Parmelin im Nationalrat erklärte.

«Mit einer erneuten Verschiebung verspielt das Parlament seine Glaubwürdigkeit», erklärte auch Nationalrätin Kathrin Bertschy (GLP/BE), welche für die Minderheit in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats WAK-N sprach. Es gehe um gemachte Versprechen an die Stimmbevölkerung und die wichtigste Biodiversitätsmassnahme der letzten Legislatur.

Kritik am Bundesamt für Landwirtschaft und Landwirtschaftsminister Guy Parmelin

Dem widersprach Ständerätin Esther Friedli (SVP/SG), welche die entsprechende Motion eingereicht hatte: «Wenn schon, verstossen die vielen offenen Punkte bei der Umsetzung gegen Treu und Glauben.» Wegen der vielen Unklarheiten könnten zum Beispiel Wiesen gepflügt und zu Biodiversitätsförderflächen gemacht werden, die gar keine kein Äcker sind. «Dass man die Massnahme so umgehen kann, war sicher nicht die Idee des Erfinders.»

Die Mehrheit der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats WAK-N hatte sich hinter die Motion von Esther Friedli gestellt, weil mit den Vorgaben des Bundesamtes wirksame, bereits bestehende Massnahmen nicht angerechnet werden. Zudem komme durch die Verschiebung um ein weiteres Jahr niemand zu Schaden, weil die Direktzahlungen für schon angelegte 3,5 Prozent Acker-BFF selbstverständlich ausgerichtet werden.

Auf die Kritik, dass sich die Landwirte stur stellen, konterte Marcel Dettling: «Heute sind 7 Prozent ökologische Ausgleichsfläche vorgeschrieben – die Schweizer Landwirtschafts-Betriebe haben heute schon im Schnitt 19 Prozent ökologische Ausgleichsflächen. Die Schweizer Bauern machen also drei Mal mehr für die Biodiversität, als vom Staat gefordert wird.»

Marcel Dettling und Esther Friedli hatten den Schweizer Bauernverband SBV hinter sich, welcher die Verschiebung zur Optimierung der Umsetzungsmassnahmen unterstützte. Mit einer praxistauglicheren Version lassen sich unerwünschte Nebeneffekte vermeiden und der Nutzen für die biologische Vielfalt erhöhen.

Die unrühmliche Rolle von Bio Suisse im Streit um die 3,5 Prozent Acker-BFF

Im vier Jahre dauernden Streit um die 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf Ackerland spielte Bio-Suisse eine eher unrühmliche Rolle. Die Dachorganisation für Bio-Landbau war zuerst für eine schnelle Einführung der 3,5 Prozent Acker-BFF (Sommer 2021), dann gegen den Schnellschuss (April 2023) und zum Schluss wieder für eine Einführung am 1. Januar 2024.

Der Grund, weshalb Bio Suisse im April 2023 für eine Verschiebung war: Das Bundesamt für Landwirtschaft BLW sollte zusätzliche Massnahmen prüfen, weil zum Beispiel Hecken oder Obstbäume nicht als Öko-Ausgleichsflächen angerechnet würden. Auf diese Weise bestrafe man Landwirte, die jetzt schon viel für die Biodiversität unternähmen.

Das Bundesamt für Landwirtschaft wollte seine Vorgaben aber nicht nochmals überarbeiten, worauf Bio Suisse umschwenkte. Nun sei es zu spät für eine Verschiebung, die Landwirte hätten ihr Saatgut bereits gekauft.

So stimmten die bäuerlichen Vertreter

Ja: Christine Badertscher (Grüne/BE), Christine Bulliard-Marbach (Mitte/FR), Didier Calame (SVP/NE), Marcel Dettling (SVP/SZ), Sylvain Freymond (SVP/VD), Andreas Gafner (EDU/BE), Martin Haab (SVP/ZH), Alois Huber (SVP/AG), Martin Hübscher (SVP/ZH), Pius Kaufmann (Mitte/LU), Thomas Knutti (SVP/BE), Andreas Meier (Mitte/AG), Leo Müller (Mitte/LU), Jacques Nicolet (SVP/VD), Pierre-André Page (SVP/FR), Katja Riem (SVP/BE), Markus Ritter (Mitte/SG), Hans Jörg Rüegsegger (SVP/BE), Thomas Stettler (SVP/JU), Manuel Strupler (SVP/TG), Vroni Thalmann-Bieri (SVP/LU), Ernst Wandfluh (SVP/BE), Priska Wismer-Felder (Mitte/LU)

Nein: Kilian Baumann (Grüne/BE), Kathrin Bertschy (GLP/BE)

Enthaltung: Keine