Kurz & bündig
- Tobias Wehnert verabreicht seinen Milchkühen einen Bolus. Dieser misst im Kuhmagen die innere Temperatur, die Bewegungs- und Wiederkauaktivität.
- Ein Algorithmus verarbeitet diese Daten, um Informationen zu Trinkverhalten, Brunst- und Abkalbezeitpunkt sowie Gesundheitszustand zu liefern.
- Dank den Messungen des Melkroboters erhält Wehnert ausserdem Informationen zur Eutergesundheit.
- Durch das Erkennen erster Anzeichen von Krankheiten kann Wehnert viel früher eingreifen und reagieren. So konnte er den Antibiotika-Einsatz reduzieren.
- Die Technologie lohne sich somit auch finanziell, sagt der Landwirt.

Tobias Wehnert (32) tritt mit dem Bolus-Eingeber in der Hand an das Fressgitter, wo die Kuh bereits fixiert ist. Mit geübtem Griff öffnet er ihr das Maul, schiebt ihr das Metallrohr in den Rachen und zwingt sie zu schlucken. «Ab jetzt empfange ich die Daten dieser Kuh aus ihrem Magen», sagt Wehnert.

Der Landwirt aus dem zürcherischen Hausen am Albis hat der Kuh soeben einen Smaxtec-Bolus verabreicht: Einen rund zehn Zentimeter langen Sensor, der im Netzmagen der Kuh verbleibt und von dort aus Daten aufzeichnet.

Die im Netzmagen erhobenen Daten sind anschliessend auf dem Mobiltelefon oder Computer des Landwirtes verfügbar.

«Die Kuh ist eine stille Leiderin»

smaXtec animal care GmbH ist eine österreichische Firma, die ihr Produkt auch in der Schweiz anbietet. Sie hat einen Bolus entwickelt (Markenname: smaXtec), der folgendes im Kuhmagen misst:

  • Innere Temperatur, kontinuierlich auf ± 0,01 Grad genau. Alle 10 Minuten wird ein Datenpunkt erstellt.
  • Bewegungsaktivität (mit dreidimensionalem Bewegungssensor).
  • Wiederkauaktivität
  • pH-Messung (optional)

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Daraus errechnet ein Algorithmus wichtige Informationen wie:

  • Trinkverhalten
  • Brunstzeitpunkt
  • Abkalbezeitpunk
  • Fieber
  • Untertemperatur

Damit ist der Smaxtec-Bolus zur Früherkennung geeignet. Denn bei erhöhter oder tiefer Temperatur, bei Brunstanzeichen oder auch kurz vor der Geburt erhält Tobias Wehnert einen Alarm auf sein Mobiltelefon.

«Die Kuh ist eine stille Leiderin. Sie zeigt erst, dass sie Schmerzen hat, wenn das Problem schon weit fortgeschritten ist», sagt Tobias Wehnert. Nebst dem Bolus hilft es, dass er die Kühe sehr gut kennt. Er und Lehrling Elija Keller kümmern sich intensiv um die Kühe und sind jeden Tag mehrere Stunden im Stall – obwohl der Roboter melkt und sie diese Arbeit daher nicht erledigen müssen.

Auf den Alarm muss Wehnert reagieren – sonst bringt er nichts

Kühe und insbesondere Holstein sind Tobias Wehnerts Leidenschaft. Der ehemalige Züchter kam 2020 auf den Betrieb auf dem Seeboden in Hausen. Er ist bei seinem Betriebspartner angestellt und kümmert sich in erster Linie um die Kühe.

Die Interpretation der Smaxtec-Messungen braucht etwas Übung. «Anfangs dachte ich, es sterbe bald jede Kuh», erinnert sich Wehnert. Heute weiss er vieles zu interpretieren. Er macht ein Beispiel: «Wenn die Kühe im Sommer nach der Weide nach drinnen kommen und viel Wasser auf einmal saufen, fällt die innere Temperatur markant.»

Heute macht ihn daher nicht mehr jeder Alarm auf dem Mobiltelefon nervös. Ist es jedoch ein ernst zu nehmendes Problem, auf das ihn Smaxtec aufmerksam macht, reagiert er sofort. «Bin ich im Ausgang und der Alarm geht los, gehe ich nach Hause in den Stall und schaue, was der Kuh fehlt», sagt Tobias Wehnert.

Der beste Alarm und die beste Früherkennung bringt schliesslich nichts, wenn man sie bloss tatenlos zur Kenntnis nimmt.

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Betriebsspiegel Seeboden
Tobias Wehnert, Hausen am Albis ZH

LN: 56 ha
Kulturen: 30 ha Kunstwiese, 14 ha Mais, 2 ha Weizen, 10 ha Naturwiese
Tierbestand: 75 Kühe, 40 Stück Jungvieh (eigene Aufzucht), 1 Stier
Weitere Betriebszweige: Klauenpflege, Lohnunternehmen mit Ballenpressen sowie Säen von Mais, Getreide und Gras
Arbeitskräfte: Tobias Wehnert, Lehrling Elija Keller, Betriebsleiter Roger Häcki

Daten werden permanent erhoben

Tobias Wehnert ist regelmässig unterwegs: Er unterrichtet Klauenpflege am LBBZ Schluechthof in Cham ZG und arbeitet ausserdem als Klauenpfleger, «das ist mein Hobby», sagt er und schmunzelt.

Während seiner Abwesenheit hält ihn Smaxtec auf dem Laufenden. Erhält er einen Alarm, informiert er den Lehrling: «Der schaut sich die Kuh an und stellt fest, dass sie schwer atmet», erklärt Wehnert an einem Beispiel. Der Lehrling verständigt daraufhin den Tierarzt. Wenn ich am Abend nach Hause komme, geht es der Kuh bereits wieder besser.»

«Es gibt andere digitale Lösungen zur Früherkennung. Einige Melkroboter können beispielsweise die Milchtemperatur messen. Aber eine kranke Kuh geht nicht zum Melken. Wenn ich sie dann hinführen will, merke ich, dass sie krank ist. Der Roboter wird meinen Verdacht nur noch bestätigen, statt ihn vorauszusagen», sagt Tobias Wehnert.

Die permanente Datensammlung habe ihn an diesem Bolus so überzeugt. «Wenn der Router bis auf die Weide reicht, werden sogar dort Daten erhoben.»

Entzündungshemmer bei ersten Anzeichen

«Es ist nicht so, dass ich gar keine kranken Kühe mehr habe. Aber die schweren Fälle nehmen ab.» In Absprache mit dem Tierarzt habe er damit begonnen, den Kühen mit erhöhter Temperatur als erstes einen Entzündungshemmer zu verabreichen.

«Mit dieser Massnahme kann ich 40 Prozent der Folgekrankheiten verhindern und den Verbrauch von Antibiotika senken», erklärt Wehnert. Das sei zwar bei Tieren verpönt. «Doch ich als Mensch nehme auch Schmerzmittel, wenn ich Kopfschmerzen habe. Wieso also nicht auch den Kühen etwas verabreichen?»

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Den Antibiotika-Verbrauch weiter gesenkt

Der Vorteil für ihn als Landwirt ist, dass er die Kuh nach wie vor melken kann und keine Einbussen in der Milchleistung hat. Lässt die entzündungshemmende Wirkung nach drei Tagen nach und die Temperatur steigt gleich wieder – «dann weiss ich, dass die Erkrankung schwerwiegender ist und die Kuh den Tierarzt und wahrscheinlich Antibiotika braucht», sagt Wehnert.

Oftmals reiche aber der Entzündungshemmer aus, um eine ernsthafte Erkrankung zu verhindern. «So konnten wir dank Smaxtec den Antibiotika-Verbrauch weiter senken», sagt Wehnert zufrieden.

Wenn eine Kuh während der Laktation erhöhte Temperatur hat, sind Lungenentzündung und Mastitis die zwei häufigsten Gründe, hat Wehnert festgestellt. Um Mastitis frühzeitig zu erkennen, achtet der Landwirt auf die Zellzahlmessung, die im Melkroboter gemacht wird.

Melkroboter liefert Infos zur Eutergesundheit

Ein weiterer Richtwert ist die «erwartete Milchmenge in Prozent», welche die Software des Melkroboters errechnet. «Dieser Wert sollte bei über 90 Prozent sein, sonst stimmt etwas nicht», sagt Wehnert.

Auch bei den gemeldeten Daten des Roboters wird Wehnert nicht allzu schnell nervös. Es kommt vor, dass eine Kuh in den Zellzahlen kurz über 1'000'000 hinaus schnellt. Gleichzeitig misst Smaxtec eine erhöhte Temperatur. Drei Tage später ist der Spuk wieder vorbei, die Zellzahlen sind wieder gesunken und auch die innere Temperatur sinkt auf ein durchschnittliches Niveau.

«Wer keine solchen Messungen durchführt, hätte diesen kurzen Einbruch gar nicht bemerkt», so Wehnert. Die Messungen verdeutlichen, dass die Kühe ab und zu gegen Erreger kämpfen müssen – manchmal mit Erfolg. Und manchmal braucht es medikamentöse Unterstützung.

Sein Melkroboter von DeLaval und Smaxtec seien übrigens kompatibel, erklärt Tobias Wehnert: «Ich trage im DeLaval-Programm die Kalbungen oder die Besamungen ein – und die Zeitpunkte werden anschliessend bei Smaxtec ebenfalls dargestellt.»

Kraftfuttermenge entsprechend der Milchleistung

Die Milchleistung von Wehnerts Kühen ist bei durchschnittlich 11'000 kg Milch pro Kuh und Jahr. Um die Kühe bei dieser Leistung gesund zu halten, helfen nicht nur die Messungen im Roboter und im Kuhmagen, sondern auch die richtige Fütterung. Diese wird monatlich überwacht und allenfalls angepasst.

Konkret analysiert Wehnert mit seinem Futterberater die Daten aus der Milchleistungsprüfung. Der Leistung entsprechend wird die Kraftfuttermenge angepasst. Das Kraftfutter fressen die Kühe im Melkroboter. Am Futtertisch erhalten sie eine Totalmischration mit Heu, Gras- und Maissilage vom eigenen Betrieb.

Ausserdem haben die Kühe den ganzen Tag über Zugang zur Dauerweide. Aber die hauptsächliche Fütterung findet klar im Stall statt.

Der Stier merkt vor dem Bolus, wenn Kühe brünstig sind

Bei der Abkalbevorhersage erreiche Smaxtec etwa 90 Prozent Genauigkeit, hat Tobias Wehnert festgestellt. Gemessen werden nicht etwa die Hormonkonzentrationen der Kuh, sondern die Temperatur: Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass 36 bis 6 Stunden vor der Abkalbung die innere Temperatur abfällt, schreibt die Firma: Durch Smaxtec erhielten die LandwirtInnen im Durchschnitt 15 Stunden vor der Abkalbung eine entsprechende Meldung.

Bei der Brunsterkennung sei Smaxtec hingegen nur bedingt eine Hilfe, meint Tobias Wehnert. «Ich merke in der Regel vor dem Bolus, dass die Kuh brünstig ist – respektive merkt es unser Stier.» Der Limousin-Stier steht hinten bei den Galtkühen. Er deckt all jene Kühe, deren Kälber nicht zur eigenen Nachzucht genutzt werden sollen. Wenn nun also die brünstigen Kühe bei der Absperrung stehen, möglichst nahe am Stier, weiss Tobias Wehnert Bescheid.

«Morgens brünstig, nachmittags besamen – diese Regel wende ich nicht an»

Aber auch Smaxtec erkennt jede Brunst und hilft Wehnert insofern, als dass der optimale Besamungszeitpunkt genannt wird. Der sei übrigens meist später, als er vermutet hätte. «Morgens brünstig, nachmittags besamen – diese Regel wende ich nicht an. Smaxtec rät mir meist, bis zum nächsten Morgen zu warten.» Er folgt diesen Empfehlungen, bis jetzt mit zufriedenstellenden Trächtigkeitsraten.

Und was sind Wehnerts Erfahrungen mit stillen Brünsten? «Darum mache ich mir keine grossen Sorgen. Meine Kühe geben so viel Milch, dass sie nicht jedes Jahr ein Kalb gebären müssen. Einige sind beispielsweise 100 Tage nach der Geburt immer noch nicht besamt.»

Sie werden dann besamt, wenn sie die Brunst zeigen, was bis jetzt immer irgendwann der Fall gewesen sei, so der Landwirt.

Daten gehen in die Smaxtec-eigene Cloud

Der grosse Mehrwert von Dienstleistungen wie Smaxtec sind die immensen Mengen an Daten, die gesammelt werden. Diese Daten helfen den TierhalterInnen – aber auch Smaxtec selbst. Denn der Algorithmus, der im Hintergrund die Rohdaten verrechnet, kann immer genauer und genauer interpretieren und prognostizieren, je mehr Daten er verarbeitet.

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Da stellt sich die Frage, wo denn diese Datenfülle genau hingeht und wer sie sehen und auswerten kann. Lukas Baumann, Schweizer Vertreter von Smaxtec, erklärt: «Aus dem Kuhmagen heraus überträgt der Sensor die Daten auf die sogenannte «Base Station», die im Stall montiert ist. Von dort werden die Daten in unsere Smaxtec-eigene Cloud hochgeladen.» Das ermögliche es Smaxtec, bei Bedarf die LandwirtInnen zu ihren konkreten Kühen zu beraten, führt Baumann aus.

Nach aussen, von Smaxtec weg, gehen allerdings keine Informationen, betont Lukas Baumann: «Nutzt jemand Schnittstellen, muss der Landwirt immer eine entsprechende Vereinbarung unterschreiben.» Möglich sei dies mit mehreren Melkmaschinenanbietern. Geplant sei ausserdem eine Schnittstelle mit der Tierverkehrsdatenbank und dem Behandlungsjournal, stellt Baumann in Aussicht.

Anfangsinvestitionen sowie monatliche Kosten

Tobias Wehnert hatte sich vor gut anderthalb Jahren dafür entschieden, alle seine Kühe mit einem Bolus auszurüsten. Seither macht er dies auch bei jeder jungen Kuh, nachdem sie das erste Mal gekalbt hat. So setzen sich die Kosten zusammen:

  • 35 .– Fr. pro Bolus. Lebt die Kuh länger als der Bolus – dessen Batterie hat eine Laufzeit von rund vier Jahren – liefert Smaxtec kostenlos einen neuen.
  • 6000.– Fr. für die Basisinstallation im Stall. Im Preis inbegriffen seien die Geräte (Base Station, Climate Sensor, Bolus-Eingeber), die Installation, Schulungen und weitere Leistungen, sagt Lukas Baumann.
  • 3.70 Fr. pro Bolus und Monat, für den Unterhalt und die Unterstützung durch Smaxtec.

«Die Anfangsinvestition kann abschrecken. Aber für mich hat es sich gelohnt. Denn meine Kühe sind gesünder und kosten somit weniger», erklärt Tobias Wehnert. Gut möglich also, dass seine Kühe den Bolus überleben werden.